Einige
behaupten, dass man sich seinen Ängsten stellen muß, um diese zu
überwinden. Ohne jemanden zu Nahe treten zu wollen, muß ich sagen,
dass das großer Blödsinn ist. Wenn Hund so klein ist wie ich und
eine große Monsterangstwelle einem entgegen rollt, ist Hund doch
ziemlich machtlos. Obwohl ich meine Menschen dabei hatte, wurde
unsere Familienreise zum Albtraum für mich. Sie katapultierte mich
direkt zurück in meine Vergangenheit, was ich eigentlich nie wieder
erleben wollte.
Mit
meinen Menschen zu verreisen und neues zu erleben gefällt mir
wirklich gut. Dieses Mal fuhren sogar alle mit, auch mein
Schwester-Mensch und mein Oma-Mensch. Etwas mulmig wurde mir schon,
als wir nach langer Fahrt und einer Zwischenübernachtung ewig lang
weiterfuhren. Während jeder Pause wurde es mir immer mehr bewußt,
wohin die Reise wohl
dieses Mal führen würde: nach Spanien! Meine
Menschen sagten zwar ständig, dass wir nach Süd-Frankreich fahren,
aber das ist sicher irgendein mir nicht bekannter Landesteil von
Spanien. Als wir dort ankamen, zögerte ich lange, bevor ich
überhaupt aus dem Auto hinaus sprang. Meine Menschen wunderten sich
etwas, aber sie hätten es doch wissen müssen, dass ich nie mehr
dorthin zurück will. Dort ist so viel furchtbares passiert. Nie
wollte ich wieder hin. Nie. Und da stand ich nun. Vielleicht hatten
sie sogar vorgehabt, mich nach Spanien zurück zu bringen und zu
verlassen. Alle waren zum Abschied mitgefahren. Es war möglich, es
ist immer möglich.
Als ich
mich erleichtern mußte, stieg ich endlich aus. Widerstrebend folgte
ich meinen
Menschen auf einen Spaziergang durch den Ort. Alles um
mich herum bestätigte meinen Verdacht: es war Spanien. Die Häuser
sahen ähnlich aus, einige waren auch genau so heruntergekommen, wie
dort, wo ich früher gelebt habe. Auch die Farben stimmten, die engen
Gassen, die Gerüche, die südlichen Blumen und Sträuche. Als ich
die ersten freilaufenden Hunde begegnete, die mich anschnautzten,
wollte ich nur weg. Zum Glück hatte ich mein Mama-Mobil dabei und so
konnte ich es benutzen, wann immer ich wollte.
Um meine
Menschen nicht zu beunruhigen, versuchte ich ganz tapfer zu sein. Ich
konnte mir aber nicht helfen, so dass ich jeden Menschen anbellte,
der unser Ferienhaus auch nur kurz ansah. Einmal mußte ich sogar
heulen, so wie Antonia es uns auf der Finca Lucendum beigebracht
hatte. Mein Mama-Mensch fand mich süß, weil mein Mund wie ein
kleines O aussah, aber gleichzeitig sah ich sie Blicke mit meinem
Papa-Menschen wechseln. Ja, so
etwas hatte ich noch nie in
Deutschland gemacht. Sogar einen kleinen Hund von anderen Touristen,
der an einer Leine spazierte, wollte ich verjagen, obwohl ich
eigentlich jeden kleinen Hund mag. Aber das war hier ja auch nicht
Deutschland. Hier in Spanien mußte ich höllisch aufpassen.
Ein Mal
sah ich sogar eine furchtbare Ratte. Sie war zwar schon tot, aber
trotzdem. Da wollte ich auch gleich wieder auf den Schoß. Es war in
einer Stadt, wo irgendein riesiges Gebäude stand, das größte
seiner Art in der ganzen Welt. Besonders mein Mama-Mensch wollte es
besichtigen, was uns nicht großartig überraschte. Als sie wieder
mit ihren geschichtlichen Fakten anfing, schaltete ich jedoch schnell
ab. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es den anderen auch so ging
– nach deren leeren Blicken zu beurteilen.
Ich weiß
noch, dass in diesem Gebäude irgendeine Kirchen-Babsi oder so
gewohnt und ganz wichtig getan hat. Sie hatte irgendwie ihren Stuhl
von Vatikan dorthin gebracht. Ziemlich viel Raum war es schon für
eine Frau und ihren Stuhl. Ob sie sich selber Babsi nannte, oder war
es
vielleicht nur ein Kosename? Sie hieß sicher richtig Barbara. Das
wäre auch für mich viel einfacher auszusprechen. Ich übte es ein
paar Mal kurz: arr-arr-aaa; arr-aa-rraa. Als ich jedoch merkte, dass
alle mich anstarrten, ließ ich es bleiben. War ja auch nicht so
wichtig. Aber mit den Kosenamen ist es schon irgendwie etwas
verwirrend. Ich heiße ja eigentlich Pia, aber mein Papa-Mensch nennt
mich oft Mäuschen. Und mein Mama-Mensch nennt mich Sima oder
Simasuu. Das soll etwas Finnländisches sein. Aber Babsi würde wirklich nicht zu mir passen.
Der
Ehrlichkeit halber muß ich sagen, dass es dort in Teilspanien auch
etwas gab, was mir gefiel: das Essen (aus Deutschland mitgenommen)
und – öh – ja, die Wärme. Das war es dann schon. Ne, auch der
Berg hat mir gefallen, weil ich dort meinen Mama-Menschen beschützen
konnte. An einem Tag machten wir einen Ausflug auf einen Berg, der
fast drei Kilometer hoch war. Schon
während der Fahrt merkte ich,
dass mit meinem Mama-Menschen etwas nicht stimmte. Sie schrie dauernd
irgendetwas wie „nicht so schnell“ oder „nicht so weit rechts“
oder „muß das sein“ oder „aargh“. Je höher wir fuhren,
desto kühler wurde es, wie ich leicht feststellen konnte. Aber je
höher wir fuhren, desto mehr schwitzte mein Mama-Mensch. Das fand
ich schon recht merkwürdig. Auf der Spitze angekommen ging sie nur
kurz zum Aussichtsplatz und setzte sich dann auf einen Felsen. Obwohl
sie nicht stark hechelte oder ihre Lippen leckte – den Schwanz
einziehen kam ja so wie so nicht in Frage – verstand ich sofort,
dass sie großeAngst haben mußte. Ich setzte mich auf ihren Schoß und tat ganz entspannt, um ihr zu zeigen, dass es dort doch gar nicht gefährlich sei. Endlich konnte ich auch ein Mal jemandem die Angst nehmen!
Endlich
fuhren wir alle zurück nach Hause - ich auch! Selbstverständlich
haben meine Menschen mich nicht verlassen und natürlich dachten wir
nicht daran, für immer dort in Spanien zu bleiben. Schon bei der
Rückreise, als wir in demselben Hotel wieder übernachteten, war ich
so froh, dass ich nur herum sprang. Trotzdem dauerte es noch Wochen,
bis ich mich von dieser Reise und von all dem Schrecken erholt habe.
So eine Begegnung mit meiner Vergangenheit will ich aber nie mehr
erleben!
Regen ist auch egal -- Hauptsache es geht nach Hause! |