Samstag, 27. April 2013

Mein Engel-Schwesterchen Pais


 Pais - 01. Mai 2006 bis 27. April 2011




Als mein Mama-Mensch und ich nach einer langen und anstrengenden Reise endlich Zuhause ankamen, war ich Hundemüde. Der Abschied von Mama Gisi und Papa Ralf, der Abschied von meiner lieben kleinen Samantha und von meinen Freunden, das Beruhigungsmittel und der Flug sowie eine gaaanz lange Autofahrt durch dieses Deutschland ließen mir die Augen zufallen. Die Katzen, die Kaninchen und das neue Zuhause wurden nur kurz von mir begutachtet und dann wollte ich nur noch schlafen. Meine neuen Mensch-Eltern hoben mich auf ihr schönes weiches Bett und ich schlief augenblicklich tief und fest ein.

In der Nacht wachte ich plötzlich durch ein Geräusch auf. Zuerst war ich verwirrt, denn mir war gar nicht klar, wo ich denn überhaupt war. Dann sah ich aber meine neuen Eltern friedlich neben mir schlafen und so wußte ich, dass alles gut war. Es ist halt nur ein harmloses Geräusch gewesen, vielleicht die Katzen, vielleicht die Kaninchen. Ich drehte mich um und erschrak, denn neben mir lag jetzt ein Hundemädchen. Sie lächelte
mich freundlich und überaus warmherzig an und stellte sich mir vor. Ihr Name war Pais. Als ich verunsichert anmerkte, dass mein Mama-Mensch mir doch erzählt hatte, dass neben mir nur noch drei Katzen und drei Kaninchen in der Familie leben würden, erzählte sie mir ihre Geschichte.

Im Jahr 2008 entdeckte mein Mama-Mensch durch Zufall eine Anzeige im Internet. Ein kleines Notfellchen war von seinen Menschen in einem norddeutschen Tierheim einfach abgegeben worden. Es handelte sich um eine Familie mit einem kleinen Kind und als das Notfellchen lebensbedrohlich erkrankte, wurde es der Familie lästig. Im Rahmen eines Urlaubes besuchten mein Mama-Mensch, mein Papa-Mensch und mein Schwester-Mensch das kleine völlig abgemagerte Fellbündel. Ihr Name war Pais. Sie lag ganz alleine auf dem kalten Betonboden eines offenen Zwingers und kuschelte sich ganz fest an ihr altes zerkautes Stofftier. Der Zwinger gehörte zu einer dem Tierheim angeschlossenen Tierarztpraxis und aufgrund einer Operation und der vielen notwendigen Untersuchungen mußte sie dort bleiben, während sie etwas weiter ihre Freunde im Tierheim spielen hören konnte.

Meine Menschen bekamen die Erlaubnis, mit ihr einen kleinen Spaziergang zu unternehmen. Dabei blühte die kleine Pais richtig auf. Sofort schloß sie meine Menschen und meine Menschen schlossen sie in ihr Herz. Als
mein Papa-Mensch seinen Schirm ins Auto legte, wollte Pais direkt hinein springen. Aber die Tierärztin hatte bereits beim Vorgespräch gesagt, dass erst nach Abschluß aller Untersuchungen entschieden werden kann, ob die kleine Pais für immer im Tierheim bleiben muß oder in ein neues Zuhause umziehen darf. Viele Wochen des Bangen und des Wartens vergingen, bis meine Menschen endlich Pais zu sich holen durften.

Pais erzählte mir von sehr glücklichen Jahren und vielen schönen Erlebnissen, wenn man einmal von einer überaus schweren gesundheitlichen Krise im Jahre 2009 absieht, welche ganz besonders meine Mensch-Eltern mitgenommen und in sehr große Sorge versetzt hat.




Wie auch ich, durfte die liebe kleine Pais überall mit hin und zu jeder Zeit waren mein Mama-Mensch und mein Papa-Mensch bei ihr. Sie machten Ausflüge, fuhren gemeinsam in den Urlaub, feierten zusammen Weihnachten und Geburtstage. Jeden Abend kuschelte die kleine Pais mit meinen Mensch-Eltern und durfte mit in ihrem Bett schlafen.

Bis der 27. April 2011 kommt. Es ist im Grunde ein ganz alltäglicher Mittwoch, doch er sollte noch zum traurigsten Tag in der Ehe meiner Eltern werden. Es ist bereits am späteren Abend und die kleine Pais schläft schon bei meinen Eltern. Plötzlich wacht sie auf und spring vom Bett. Sie deutet an, nochmal raus zu müssen und mein Mama-Mensch steht auf und macht sich mit ihr auf den Weg in den Garten. Mein Papa-Mensch sieht die kleine Pais noch zur Tür hinausgehen und ahnt nicht, dass sie nicht mehr wiederkommen wird. Denn als Pais wie immer zu ihrem Baum geht, erscheint plötzlich vor ihr die Regenbogenbrücke. Ein Schmerz, ein furchtbarer Schrei und ihr liebes kleines Herz blieb für immer stehen.

Sie sieht, wie mein Mama-Mensch sie aufhebt und in Eile nach oben läuft. Mein Mama-Mensch versucht, unterstützt von der Tierärztin am Telefon, sie durch Herzmassage und Beatmung zu retten - doch ohne Erfolg. In dieser Nacht geht die liebe kleine Pais über die Regenbogenbrücke und darf ein letztes Mal bei meinem Mama-Menschen und bei meinem Papa-Menschen schlafen.

Die liebe Pais bat mich damals, Ihr Vermächtnis zu bewahren. Sie hatte meinen Mensch-Eltern in der ihr verbliebenen kurzen Zeit gezeigt, welch unendliche Liebe und Wärme wir unseren Menschen geben und
welch unendliches Vertrauen wir unseren Menschen schenken können. Ich bin überzeugt, dass sie mich zu meinen neuen Eltern geschickt hat und diese haben mich genauso fest und unverbrüchlich in ihr Herz geschlossen, wie Pais. Jetzt gebe ich meinen Menschen jeden Tag soviel Liebe und Wärme, wie ich nur kann.

Die liebe kleine Pais durfte nur fast fünf Jahre auf dieser Welt sein. Sie hat für immer einen Platz in den Herzen meiner Familie und wir alle werden sie niemals vergessen.

Und manchmal, wenn mein Mama-Mensch und mein Papa-Mensch schon schlafen, dann kommt sie mich besuchen - das sind immer gute Nächte ...



Dienstag, 23. April 2013

Sechs Ängste einer ehemaligen Straßenhündin



Es ist mir bewußt, dass viele Hunde im Süden viel mehr leiden müssen, als ich es gemußt habe. So gesehen bin ich ja auch nur eine Teilzeit-Straßenhündin, weil ich schon ein Mal ein Zuhause hatte. Als ich es aber verlor, war ich mehrere Monate auf mich alleine gestellt. In dieser Zeit widerfuhr mir so viel Böses, dass ich darunter immer noch
leide, obwohl ich jetzt schon seit über zwei Jahren in Sicherheit bin. Meine Menschen sind zwar keine Hundeprofis, wie ich sie manchmal im Fernsehen sehe, aber ich finde, sie haben mir trotzdem schon viel helfen können. Es wird ja gesagt, dass es hilfreich sei, über schlimme Erlebnisse zu reden oder zu schreiben. Ich versuche es und vielleicht werden die Ängste dann eines Tages ganz verschwinden.

Angst 1: Verlassen zu werden

Seit ich meine eigenen Menschen habe, fürchte ich mich sehr davor, wieder verlassen zu werden. Ich weiß ja gut, wie furchtbar schmerzhaft das ist. Der alte Mann, bei dem ich früher lebte, hat mich schließlich auch verlassen. Na gut, er starb. Es war dann wohl nicht absichtlich. Aber trotzdem, ich hatte einen Menschen verloren, der zwar sehr, sehr streng zu mir gewesen war, aber der sich auch um mich gekümmert hat. Meinen neuen Menschen habe ich inzwischen mein ganzes Herz geschenkt und ich will mir ein Leben ohne sie nicht vorstellen. Aber vielleicht werden auch sie mich irgendwann einfach verlassen.

In den ersten paar Tagen nach Ankunft bei meiner neuen Familie behielt ich besonders den Mama-Menschen ganz genau im Auge – die anderen kannte ich ja schließlich noch gar nicht so gut. Ich folgte ihr überall hin, keine Sekunde lang ließ ich sie aus den Augen. Als ich aber sah, dass sie tatsächlich nirgendwo ohne mich hin ging und dass die anderen Menschen auch sehr lieb waren, beruhigte ich mich allmählich.

Nach fast zwei Jahren in dieser Familie weiß ich theoretisch, dass ich hier für immer bleiben darf. Trotzdem möchte ich zur Sicherheit immer dabei sein. Das darf ich auch, wann immer es irgendwie geht. Auf jeden Fall bleibt einer von meinen allerliebsten Menschen, meine Mama oder mein Papa, immer bei mir. Als ich das ein Mal einigen Freunden von mir erzählte, meinten sie, dass ich verwöhnt sei. Aber dann sage ich mir  immer, was meine Menschen mir sagen, nämlich dass ich es verdient hätte.

Angst 2: Rolläden

In der ersten Zeit hier in Deutschland habe ich mich bei meinem morgenlichen Spaziergang immer furchtbar erschrocken, wenn die Nachbarn ihre Rolläden hochgezogen haben. Einige Male nahm mich mein Mama-Mensch auf den Arm, damit ich über den Zaun gucken konnte. Es war schon richtig spannend, aber als ich sah, dass diese Rolläden einfach von der Nachbarstante hochgezogen wurden, ohne dass jemand heraus kam oder hinein ging, verlor ich langsam das Interesse an diesem Geräusch. Wenn die Tante Nachbar sonst nichts zu tun hatte, sollte sie doch so viel mit ihren Rolläden spielen, wie sie wollte.

An dem verfallenen Haus in Spanien, in dem die vier anderen Hunde und ich nach dem Tod des alten Mannes alleine leben mußten, gab es keine richtige Tür, sondern nur eine rostige Rollade. Immer wenn diese knirschend hochgezogen wurde, wussten wir, das Böse kam herein. Wir versuchten, so schnell wie möglich zu flüchten. Es gelang nicht immer.

Angst 3: Kapuzen

Oft war das Böse, dass ins Haus hinein kam, eine Gruppe von Jugendlichen bekleidet mit Kapuzenpullis. Noch heute kann ich keinen Menschen mit solchen Pullovern ohne furchtbare Panik begegnen. Mein eigener Schwester-Mensch trägt zwar auch solche Pullis, aber erstens zieht sie mir zu Liebe die Kapuze nie über den Kopf und zweitens ist sie eh der liebste Schwester-Mensch auf der Welt.

Angst 4: Ratten

Es war sehr schlimm und es ist immer noch sehr schlimm. Diese Viecher greifen meine Babies und mich immer noch an - zumindest in meinen Alpträumen. Ratten. Es gab so viele hungrige Ratten in diesem verfallenen Haus. Sie waren oft riesig und viel zu viele. Es war so unendlich grausam, dass ich es gar nicht beschreiben kann.

In meiner Familie leben drei Kaninchen. Manchmal höre ich sie in der Nacht herum wühlen oder was Kaninchen halt so machen. In einer schlechten Nacht drängt sich dieses Geräusch in meine Träume
 und dann sind die Ratten wieder da. Wenn ich aus dem Alptraum aufwache, sehe ich meine Menschen, aber ich suche noch sehr lange nach diesen Monstern. Meine Menschen lassen mich dann die Kaninchen ganz genau beschnüffeln und ich weiß mit Sicherheit, dass sie keine Ratten sind. Aber in meinen Träumen werden diese wohl noch lange erscheinen.

Angst 5: Große Hunde

Jeder Hund bis zu meiner Größe ist sofort mein Freund. Egal ob Junge oder Mädchen, ich mag sie alle. Meistens sind sie ja auch richtig nett und witzig. Es macht mir viel Spaß, mit ihnen zu spielen. Aber jeder größere Hund, sei er nur um zwei Zentimeter größer, flößt mir sofort Angst ein. Ich wurde von so vielen größeren Hunden gehänselt und bedrängt, als ich  schutzlos in Spanien leben mußte, dass ich heute keinem mehr traue. Meine Menschen haben mir gezeigt, dass sie mich nun beschützen. Sie stellen sich immer zwischen so einem Monsterhund und mir, damit ich keine Angst vor ihm haben brauche. Oft fangen sie auch irgendein absolut belangloses Gespräch mit mir an, wenn sich so ein Hund nähert. Dann konzentriere ich mich auf meine Menschen und merke gar nicht, wie schnell wir vorbeigegangen sind. Diese Angst ist schon geringer geworden und eines Tages werde ich vielleicht einen dieser Hunde begrüßen wollen - außer meinen Erzfeind. Er wohnt ein paar Häuser weiter und wirft mir immer Unverschämtheiten und Beleidigungen direkt an den Kopf. Er kann mir auch weiterhin gestohlen bleiben.

Angst 6: Zurück zu müssen

Gleich viel Angst, wie vor dem Verschwinden meiner Menschen, habe ich davor, zur Finca oder nach Spanien zurück zu müssen. Das ist schwer verständlich zu machen, weil ich doch Gisi und Ralf so unendlich dankbar bin und weil ich sie auch sehr lieb habe. Beide kümmern sich ja auch weiterhin rührend um meine liebe kleine Tochter Samantha. Aber ich möchte so gerne für immer bei meinen eigenen Menschen bleiben.

Eines Tages besuchten wir eine Bekannte hier in der Nähe. Ich bekam fast den Schock meines Lebens, als ich dort zwei bekannten Menschen begegnete: Mama Gisi und Papa Ralf! Dabei sollten sie doch nicht hier sondern in Spanien sein! Sie würden mich jetzt bestimmt zurückholen! Ich war sicher nicht artig genug gewesen. Meine Menschen wollten mich zurückgeben!
Nein! Bitte nicht! Augenblicklich sprang ich auf den Schoß von meinem Mama-Mensch, schmiegte mich demonstrativ eng an sie und drehte Gisi und Ralf den Rücken zu. Höchstens war ich noch dazu bereit, auf den Schoß von meinem Papa-Mensch zu wechseln - aber mehr war nicht. Irgendwie fühlte ich langsam, dass ich mich wohl doch
getäuscht hatte. Meine Menschen wollten mich gar nicht weggeben. Es waren Gisi und Ralf, die mich einfach wiedersehen wollten. Ich schaute Gisi lange an und versuchte zu sagen, wie ich mich fühlte. Gisi flüsterte mir etwas ins Ohr, was mich weiter sehr beruhigte. Was es war, das werde ich nicht erzählen, weil es für immer unser schönes Geheimnis bleiben soll. Trotzdem bleibe ich bei Begegnungen mit Gisi und Ralf  weiterhin ganz eng bei meinen Menschen - am liebsten auf dem Schoß von Mama und Papa sitzend. Sicher ist nun mal sicher.











Donnerstag, 18. April 2013

In Spanien - Teil III: Das Unbekannte


Es sei einzig und alleine meine Entscheidung, ob ich mit jemandem mitgehen wollte oder nicht. Es sei völlig in Ordnung, wenn ich zeigen würde, dass ein Mensch mir nicht gefällt. In diesem Fall dürfte ich ohne Probleme weiter auf der Finca Lucendum bleiben. Das hatten meine Mama Gisi und mein Papa Ralf mir in den letzten
Tagen sehr oft gesagt, weil sich wohl irgendeine Familie gemeldet hatte. Eine Frau sollte aus Deutschland
Foto: Finca Lucendum
kommen und mich zu ihrer Familie holen. Aber es war ja meine Entscheidung und ich war mir noch gar nicht sicher, ob ich überhaupt die Geborgenheit der Finca verlassen wollte. Ach, und dann war da wieder dieses Deutschland, vielleicht würde mir irgendjemand irgendwann erzählen, was es war.

Einige Tage später ist Gisi dann am Nachmittag weggefahren, um diese Frau abzuholen. Deutschland schien dann ja doch nicht so weit weg zu sein, wenn man mal so einfach mit dem Auto hinfahren konnte. Eigentlich war ich nicht aufgeregt, sondern nur sehr skeptisch. Es gab für mich auf der Welt nur zwei Menschen denen ich vertraute, Gisi und Ralf. Ich glaubte nicht, dass jemand mich davon überzeugen konnte, sie und die Finca zu verlassen.


Als wir das Auto zurückkommen hörten, liefen wir alle wie üblich zum Tor, um Gisi zu begrüßen. Etwas neugierig war ich schon und wollte als erste die Frau aus Deutschland begutachten. Da kamen sie schon durch das Tor und mein erster Eindruck war, dass es garantiert mit dieser Frau nie etwas werden würde. 

Sie war erstens so klein, dass ich das Gefühl bekam, sie beschützen zu müssen. Zweitens wirkte sie ganz merkwürdig steif und angespannt. Was sie wohl hatte? Ich schnüffelte die Luft. Hatte sie eventuell Bange vor so vielen Hunden? Das konnte dann noch heiter werden. Sie versuchte uns alle - dreißig oder vierzig Hunde - irgendwie zu begrüßen und lief weiter hinter Gisi her in Richtung Haus. Die Frau hatte mich wohl bereits in der Menge entdeckt, aber ich blieb in sicherer Entfernung zu ihr.

Wir folgten Gisi in die Küche. Wir hatten die Hoffnung, dass sie gleich etwas kochen würde. Sie stellte sich immer so ungeschickt an, dass ihr oft ziemlich viel leckeres Essen herunter fiel. Aber diesmal kam auch die
Peter, Paul und Rona. Foto: Finca Lucendum
fremde Frau mit in die Küche. Sie schielte zu mir rüber und machte Anstalten, näher kommen zu wollen. Das ging aber mal gar nicht, ich knurrte sie an. Sie wich zurück und wirkte etwas überrascht und auch irgendwie traurig. Ich schaute Gisi fragend an, ob das mit dieser Frau ihr ernst sei. Gisi streichelte mir aber nur kurz über den Kopf und meinte, dass ich der Frau erst Mal ein bisschen Zeit geben sollte. Dabei hatte ich mich eigentlich schon entschieden und wollte mich von dieser komischen Frau einfach fern halten. Als ich dann ins Wohnzimmer ging, folgte die Frau mir. Mußte ich noch deutlicher werden? Ich knurrte sie erneut kurz an und versteckte mich unter dem Sofatisch. Die Frau setzte sich einfach auf einen Sessel und schien zu warten, sicherlich nur auf das Essen. Einige von meinen Freunden gingen zu ihr und sie wurden freundlich gestreichelt. Ja, das war wirklich eine gute Idee, sollte sie doch einen von ihnen mitnehmen und mir meine Ruhe lassen. Über diese Gedanken hinweg schlief ich vor Müdigkeit ein.

Als ich wieder aufwachte, saßen die Menschen schon beim Abendbrot. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass es schon so spät war, und mußte mich sehr beeilen, damit nicht meine Freunde alles abbekamen. In dieser Hektik merkte ich gar nicht, dass ich auch ein Stück Käse von der fremden Frau genommen hatte. Es schmeckte aber genauso, wie der Käse von Gisi und Ralf. Die Fremde wirkte nicht mehr so angespannt, sondern schien die Aufmerksamkeit von so vielen Hunden allmählich zu geniessen. Ich saß mittig unter dem
Tisch, denn das war der beste Platz, um alle Hände erreichen zu können. Spike turnte wieder auf dem Tisch herum und heulte pathetisch, wie hungrig er war. Bonnie Blue und Antonia lagen würdevoll neben dem Tisch. Der kleine Winnetou versuchte an Ralfs Bein hochzuklettern. Die liebe Paulinchen saß neben Gisi, und die anderen drängelten sich an dem Tisch herum.

Eigentlich wollte ich die fremde Frau weiter ignorieren, aber der Käse schmeckte zu gut. Schnell bemerkte ich außerdem, dass ich von ihr immer zwei Stücke gleichzeitig bekam, bevor sie auch den anderen etwas gab. Nach einer Weile erlaubte ich ihr sogar, mich kurz zu streicheln. Es gehört ja zu einer guten Kinderstube, dass man sich für solche Leckerbissen auch irgendwie dankbar zeigt. Übertreiben brauchte man es dann aber auch wieder nicht und so ging ich bald in den Garten. Dabei bemerkte ich, wie die Frau mir hinterher schaute. Na ja, schauen tat ja nicht weh.

Hinter dem Zaun gelegen gab es auf der Finca auch ein kleines Gästehaus. Dort sollte die fremde Frau übernachten. Als es schon ziemlich spät und dunkel war, kam meine Mama Gisi zu mir und nahm mich auf den Arm. Sie flüsterte mir ins Ohr, dass ich es einfach für eine Nacht ausprobieren sollte und falls es mir nicht gefällt, würde die Frau wieder nach Hause fahren. Bevor ich Gisi fragen konnte, was ich denn ausprobieren sollte, drückte sie mich schon der Frau in den Arm und wünschte uns eine gute Nacht. Oh nein, die Frau nahm mich mit in das Gästehaus. Gut, eine Nacht würde ich es wohl aushalten und Morgen ginge die Frau dann sicher wieder weg.

Vorher bin ich noch nie in dem Gästehaus gewesen. Dort sah es zwar sehr gemütlich aus, aber ich wollte ja nur die Nacht überstehen. Die Frau setzte mich auf den Fußboden und kramte irgendetwas aus ihrer Tasche hervor. Dann setzte sie sich etwas weiter weg auch auf den Boden und schien mich gar nicht weiter zu beachten. Ich schielte unauffällig rüber und sah, dass sie etwas in der Hand hatte. Mmh, es roch wirklich gut. Sie warf etwas in meine Richtung und ich kam ein paar Schritte näher. Leckerlies! So was von gut! Mit Leckerlies schienen sie sich in diesem Deutschland auf jedem Fall auszukennen. Es schmeckte so gut, dass ich nach
Die erste Nacht
einer Weile sogar ein paar aus ihrer Hand nahm. Ja, und dann durfte sie mich auch noch mal streicheln. Es war gar nicht so übel. Es war sogar richtig angenehm. In dem Gästehaus war es so ruhig, dass ich ganz schnell müde wurde. Die Frau hatte zwar für mich eine Decke auf den Boden gelegt, sie meinte aber, dass ich auch bei ihr im Bett schlafen könnte, wenn ich wollte. Ich überlegte kurz und entschied mich für das Bett. Was könnte eine Nacht in einem weichen Bett schon schaden?

In der Nacht kamen die Alpträume wieder. Ich mußte wohl geweint oder gejault haben, weil die Frau mich immer beruhigend streichelte, wenn ich wieder aufwachte. Dadurch konnte ich sehr schnell wieder einschlafen und so verging die ganze Nacht. So kam es, dass ich mir nicht helfen konnte, aber als die Sonne wieder aufstieg, hatte ich diese fremde Frau wider Willen ins Herz geschlossen. Sie schien mich doch beschützen zu können und an liebevollen Streicheleinheiten würde es mir sicher auch nicht fehlen – und wohl auch nicht an Leckerlies. Sollte ich doch mit ihr gehen?

An diesem Morgen gingen wir zuerst gemeinsam frühstücken. Nach dem Frühstück lächelten mich Gisi und Ralf an und ich durfte noch eine Weile auf dem Schoß der Frau sitzen. Dann passierte das Unfassbare, die Menschen standen auf, räumten wie immer den Tisch ab, die Frau streichelte mich noch ein Mal kurz und verließ mit Gisi die Finca. Beide stiegen ins Auto und fuhren fort. Ohne mich. Die Frau fuhr ohne mich wieder fort. Traurig guckte ich ihr nur hinterher und fühlte, wie sich
Foto: Finca Lucendum
meine Augen mit Tränen füllten. Gestern hätte ich mich noch geweigert, mit der Frau zu gehen. Aber das war doch gestern! Heute hätten die Menschen doch bemerken müssen, dass alles anders war. Haben sie denn nicht verstanden, dass ich bereits mein Herz an die Frau verschenkt hatte?

Es traf mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel, es mußte wohl ganz anders sein. Es war nicht mehr meine Entscheidung – die Frau wollte mich nicht. So versteckte ich mich unter einem Olivenbaum, damit keiner sah, wie traurig ich war. Sie hat sich nicht für mich entschieden. Vielleicht hätte ich die Frau gestern nicht anknurren sollen. Oder waren meine Alpträume in der Nacht für sie zu anstrengend gewesen? War ich ihr zu hässlich oder mit meinen sechs Wintern ihr schon zu alt? Ich weinte leise vor mich hin. Dabei hatte ich schon angefangen mir auszumalen, dass sie mein Frau-Mensch wird, vielleicht sogar mein Mama-Mensch. Nach allen Enttäuschungen in meinem Leben hätte ich es besser wissen sollen. Ich trocknete meine Tränen und versuchte, positiv zu denken. Auf der Finca zu bleiben war ja auch alles andere als schlecht. Aber der Frau-Mensch ging mir nicht so einfach aus dem Kopf. Und dann kamen die Tränen wieder. Deswegen wollte ich Gisi diesmal auch nicht begrüßen, als ich sie zurückkommen hörte. Ich blieb einfach unter dem Baum sitzen.

Als ich eine Stimme nach mir rufen hörte, sprang ich jedoch schneller als jemals zuvor in meinem Leben auf. Mein Frau-Mensch war zurückgekommen und sie suchte nach mir! Ich rannte zu ihr und sprang ganz weit an ihr hoch, fast bis auf ihren Schoß. Das war zwar keine so große Leistung, weil die Frau ja so klein war, aber
ich freute mich einfach so sehr. Fast mußte ich wieder weinen, diesmal vor Glück. Gisi und die Frau waren nur Hundefutter kaufen gewesen. Sofort durfte ich auf den Arm und dort blieb ich dann fast den ganzen restlichenTag.

Mein Mensch erzählte mir über ihr Leben in Deutschland und ich erzählte ihr über mein Leben. Es war ein wunderbarer Tag. Ich erfuhr endlich, dass Deutschland ein Land ist, das weiter nördlich liegt und viel kälter als Spanien ist. Wir würden dahin fliegen müssen. Bevor ich bemerken konnte, dass ich doch gar nicht fliegen kann, erzählte sie mir, dass wir mit einem Flugzeug reisen würden. Das konnte ich mir nicht so recht vorstellen, aber ich hätte alles getan, nur um mitgehen zu dürfen. Sie erzählte auch von ihrer Familie – oder eigentlich ja jetzt von unserer. Ich bekäme noch einen Papa-Menschen, der mich ebenfalls sehr sehr lieb haben würde, einen Schwester-Menschen, der keine Tiere quält, obwohl es sich um eine Jugendliche handelt und sogar einen Oma-Menschen, der für mich sicher immer ein paar Extra-Leckerlies übrig hat. In meiner neuen Familie gibt es keine anderen Hunde, was mich wirklich sehr beruhigte hat. Aber drei Kaninchen und zwei Katzen leben noch im Haushalt, was mich dann doch wieder etwas beunruhigte. Mit Katzen kann ich nicht so viel anfangen, aber so schlimm konnte es auch wieder nicht werden. Ich fühlte schon in diesem Moment, dass ich sicher nie mehr einsam sein würde und nie mehr Angst haben müßte.
Pia vor der Rettung 2010, Foto: FL

Gisi und Ralf mußten mich gar nicht mehr fragen, ob ich mich entschieden hätte. Es war für sie ja offensichtlich. Ich war ihnen für alles so sehr dankbar, aber meinem eigenen Frau-Mensch mußte ich einfach überall hin folgen, sogar bis in dieses Deutschland. Es ist mir sehr schwer gefallen, mich von meinen lieben Eltern Gisi und Ralf, meiner lieben kleinen Tochter Samantha und von allen meinen Freunden zu verabschieden, die sich alle sehr für mich freuten. Am nächsten Morgen fuhren wir dann gemeinsam fort, mein Mensch und ich.
Pia 2013 in Deutschland



Dienstag, 16. April 2013

In Spanien - Teil II: Das Gute


Meine ersten drei Tage auf der Finca Lucendum habe ich nur wie durch einen Nebel wahrgenommen. Ich war so erschöpft, dass ich nur schlief oder irgendwie vor mich hin döste. Ich hatte zwar mitbekommen, dass meine Tochter Samantha mich mit strahlenden Augen begrüßte und mir etwas erzählte, aber ich war zu müde und mußte einfach schlafen. Paulinchen, die kleine Hündin, wollte mir alles zeigen, aber auch das mußte warten. Jedoch spürte ich , dass ich in Sicherheit war. Keiner bedrohte mich, keiner schlug mich,
Foto: Finca Lucendum
keiner schrie mich an. Zwar lebten auf der Finca wohl ziemlich viele Hunde, trotzdem hatte ich meine Ruhe.

Plötzlich fiel mir wieder ein, was meine Tochter mir erzählt hatte. Sie hatte etwas von einem Freund erzählt! Ja, bin ich noch bei Trost? Ich habe drei Tage verschlafen, obwohl meine Tochter einen Freund kennengelernt hat. Vielleicht sollte ich mich besser etwas beruhigen, bevor ich Samantha aufsuchte. Schließlich war sie ja schon fast erwachsen, ich sollte mich deshalb nicht so aufregen. Aber ihren Freund wollte ich auf jeden Fall erst ein Mal begutachten. Paulinchen hatte anscheinend gesehen, dass ich wieder munterer war. Jetzt wollte sie mir endlich alles zeigen. Das paßte mir sehr gut, es war ja eine ausgezeichnete Ablenkung, bevor ich meine Tochter wiedertraf.

Foto: Finca Lucendum
Zuerst gingen wir zu den Chefinnen. Alle auf der Finca gehorchten Antonia und Bonnie Blue. Antonia war etwas kurz angebunden und begrüßte mich nur knapp. Bonnie Blue nickte mir wortlos zu. Das war eigentlich gut, weil mir doch etwas Bange war. Sie strahlten Autorität aus und alle wußten sicher instinktiv, dass man sie besser respektierte.Trotzdem waren sie doch sehr freundlich. Paulinchen erzählte mir, dass Antonias Vater ein echter Wolf gewesen ist und dass sie allen beigebracht hat, wie man wölfisch singen kann. Manchmal sangen alle zusammen und die Menschen bewunderten es.
Chico und Antonia, Foto: Finca Lucendum

Ach ja, die Menschen. Ich hatte sie schon ein bisschen verdrängt. Trotz meines Dämmerzustandes hatte ich bemerkt, dass sie mir jeden Tag etwas zu essen und zu trinken gebracht hatten. Ich blickte mich um und sah die Frau draussen mit einer komischen Karre hantieren. Sie brachte etwas zu Tieren, die überaus merkwürdig aussahen. Paulinchen klärte mich auf. Die Frau hieß Gisi und sie brachte gerade Heu zu den Pferden! Von Pferden hatte ich zwar schon mal gehört, aber gesehen hatte ich bisher keine. Paulinchen behauptete, auf der Finca lebten auch noch Schweine, Ziegen und Gänse. Nun, ob ich das glauben sollte, wußte ich nicht so recht.
Foto: Finca Lucendum

Es lebten sehr viele andere Hunde auf der Finca. Ich zählte zehn, aber es waren viel mehr. Sicher drei oder vier mal mehr. Ich fühlte mich doch etwas unsicher. Als die anderen Hunde mich entdeckten, hielt Paulinchen sie davon ab, dass sich alle gleichzeitig auf mich stürzten. Ich konnte mir die vielen Namen gar nicht merken. Es wunderte mich aber sehr, dass alle so freundlich zu mir waren.

Foto: Finca Lucendum
Als ich von hinten Schritte hörte, erschrak ich. Der zweite Mensch kam auf uns zu. Und was tat er? Er kniete sich hin und ließ mich an seine Hand schnüffeln. Ein Mensch kniete sich vor mich hin, das konnte nicht wahr sein! Ich schnupperte vorsichtig an der Hand und der Mann zauberte für Paulinchen und für mich ein Stückchen Käse hervor. Ganz sanft streichelte der Mann meine Schulter. Sein Name ist Ralf, flüsterte Paulinchen. Schon an dem Abend schlief ich auf seinem Schoß.
Pia auf Ralfs Schoß, Foto: FL
Diese zwei Menschen, Gisi und Ralf, sind für mich die größten Helden überhaupt geworden. Ich erfuhr, dass
Karolina, Foto: Finca Lucendum
sie schon viele Jahre lang Hunde wie mich retten und bei sich aufnehmen. Wenn die Hunde zu alt oder zu krank sind, können sie sogar für immer auf der Finca bleiben. Wenn sie aber noch in der gesundheitlichen Verfassung sind, dürfen sie zu eigenen Familien ziehen, die Gisi und Ralf für sie aussuchen. Einige Hunde sind sogar bis nach Deutschland gezogen. Ich konnte damals nichts mit Deutschland anfangen. Vielleicht war es ein Dorf irgendwo weit weg oder sogar eine Insel. Es hatte mich in dem Moment auch nicht so interessiert. Ich lebte gern auf der Finca und liebte Gisi und Ralf einfach dafür, dass sie so liebevoll und gut zu uns waren.

Sie waren sogar zu allen Nervensägen, wie zum Beispiel Spike, sehr lieb. Es war wieder Paulinchen, die mich über ihn aufklärte. Spike ist ein richtig kleiner Kerl mit großen Augen und noch größerer Klappe. Er hält sich für den Chef der Finca. Einige lassen ihn in dem
Spike, hinten Bonnie Blue, Foto: FL
Glauben und tun so, als ob sie auf ihn hören würden. Sogar Gisi und Ralf tun manchmal so. Aber wenn er gute Laune hat, ist er echt sympatisch und manchmal sogar witzig.

Ich lernte auf der Finca viele liebe Freunde kennen, hörte aber auch so viele Leidensgeschichten. Es wundert mich, wie meine Freunde so viel Leid ertragen konnten, ohne, dass ihre kleinen Seelchen zerbrachen. Wie die schon etwas älteren Zwillinge Marte und Jupiter, die kleine Heidi, die
Heidi
taube Karolina oder der mutige Chico, Paulinchens Sohn. Und so viele andere Seelchen.
Zur Finca kam auch ein Welpe, der mich sehr beeindruckte. Sein Name war wohl Bastian, aber alle nannten ihn nur Winnetou, weil er wirklich wie ein kleiner Indianer aussah. Er wurde in einen Müllcontainer geworfen, weil niemand ihn auf dem Markt gekauft hatte. Seine Einstellung war aber so unheimlich positiv, dass man es kaum glauben konnte. Als Winnetou auf der Finca den schwerkranken Hund Gador begegnete, war er nicht
Gador und Winnetou, Foto: FL
mehr zu halten. Er kümmerte sich rührend um den Kranken, war jeden Tag bei ihm, erheiterte ihn mit seinen Geschichten und wenn Gador zu müde war, kuschelte er einfach mit ihm. Es war wirklich erstaunlich, denn durch Winnetous Fürsorge waren die letzten Wochen in Gadors Leben sicher noch sehr viel glücklicher.

Paulinchen, Foto: Finca Lucendum
Kürzlich erreichte mich die sehr traurige Nachricht, dass meine liebste Freundin Paulinchen in hohem Alter über die Regenbogenbrücke gegangen ist. Sie ist eine herzensgute Seele gewesen und hat allen das Gefühl gegeben, sie seien auf der Finca.willkommen. Obwohl ich über ihren Tot sehr traurig bin, weiß ich sicher, dass sie vom Sirius auf uns herunter schaut und mit einem Lächeln auf den Lippen das fröhliche Treiben auf der Finca Lucendum beobachtet.
Unai und Samantha, Foto: FL

Meine Tochter und ihr Freund

Als meine Samantha mir ihren Freund Unai vorstellte, da wußte ich sofort, dass ich mir keine Sorgen mehr um sie machen muß. Jeder, der die unvorstellbar große Liebe zwischen den beiden nicht sofort erkennt, muß blind sein. Samantha himmelt ihren Unai an und der große, ruhige Unai ist rührend zärtlich ihr gegenüber. Beide waren vom ersten Augenblick an unzertrennlich.

Foto: Finca Lucendum (FL)
Gisi und Ralf haben den beiden versprochen, dass sie für immer auf der Finca bleiben dürfen. Samantha ist immer noch sehr scheu und läßt sich kaum von Menschen anfassen. Gisi und Ralf haben aber die Verbindung zwischen Samantha und Unai sofort gespürt, was ich früher eigentlich bei Menschen für unmöglich gehalten habe. Ich bin sehr glücklich, dass meine liebe kleine Tochter so ein wunderbares Leben hat.


Die Angst um meine Babies

Es war mein sechster Winter und der erste, in dem ich nicht frieren mußte. Es regnete, wie immer, aber wir durften im Haus bleiben. Wir bekamen immer genug zu essen und durften es uns aussuchen, wo wir schlafen mochten. Alles wäre gut gewesen, wenn ich mir nicht so große Sorgen um meine ungeborenen Babies hätte machen müssen. Als ich schwanger wurde, waren wir ja alleine in dem verfallenen Haus und es dauerte danach noch Wochen, bis Gisi und Ralf uns fanden. Ich wußte damals, dass ich nicht in der körperlichen Verfassung für eine Schwangerschaft war. Ich ahnte, dass die Geburt nicht einfach werden würde. Aber
Samantha, Foto: FL
vielleicht würde ich dieses Mal meine Babies wenigstens nicht verstecken müssen. Denn früher hat der alte Mann mir alle meine Kinder weggenommen, außer Samantha, die ich sehr lange verstecken konnte.

Kurz vor Weihnachten war es dann so weit. Mein kleiner Sohn war relativ problemlos zur Welt gekommen und er schien auch gesund zu sein. Nach stundenlangen Wehen gebar ich meine süße kleine Tochter, der ich gerade noch sagen konnte, wie sehr ich sie liebe, bevor sie in meinen Armen verstarb. Mit Hilfe von Gisi und Ralf habe ich sie beerdigt. Nun ist sie ein kleines Engelchen und flitzt sicher fröhlich hin und her.

Mein kleiner Sohn wurde Muffin getauft. Er ist ein lieber Kerl, nur klein blieb er nicht lange. Er geriet ganz nach seinem Vater und ist ein sehr großer und kräftiger Junge. Er ist eine Frohnatur und bei allen beliebt.
Muffin und Pia, Foto: FL
Deswegen hat es mich auch nicht überrascht, dass er bereits nach einigen Monaten eine eigene Familie gefunden hat. Ich freue mich so sehr für ihn und bin sicher, dass er es sehr gut auch in Deutschland hat. Wie gesagt, damals wußte ich ja nicht, was Deutschland war, aber es hörte sich sehr lustig an.

Nachdem meine geliebten Kinder so gut versorgt waren, hatte ich Zeit, über mich nachzudenken. Wie gesagt, es war alles perfekt auf der Finca - die Menschen, die Freunde, die Sicherheit, einfach alles. Aber ich fing allmählich doch an, mich etwas unwohl zu fühlen. Sehr lange wußte ich nicht, woran es lag. Es lebten ja viele Hunde auf der Finca und sie spielten wirklich gerne miteinander. Deshalb war es oft ziemlich stürmisch und laut. Ich bin aber eher eine Einzelgängerin und hatte keine Lust zu diesen Gruppenspielen. Außerdem waren ein paar Hunde auf der Finca eingetroffen, denen es sehr viel schlechter ging als mir. Ich muß zugeben, dass ich schon sehr eifersüchtig auf meine Menschen war und meinen Platz - zum Beispiel auf dem Schoß - knurrend verteidigte. Das hätte ich eigentlich nicht gesollt, aber ich wünschte mir Gisi und Ralf eigentlich für
mich alleine. Ich habe ja auch verstanden, dass dies nicht ging, und deshalb fing ich an, mich zurückzuziehen. Als der Sommer kam, wußte ich, dass ich trotz allem einfach einsam war.
Pia


Gisi und Ralf sind die einfühlsamsten Menschen, denen ich begegnet bin. Eines Tages nahmen sie mich in den Arm und fragten direkt, wie ich es denn fände, wenn ich eine eigene Familie bekäme. Ich wußte nicht richtig zu antworten, denn dafür müßte ich ja Finca verlassen. Vielleicht waren dort wieder böse Menschen, die mich schlugen und quälten. Diese gab es ja leider überall. Ich wußte nicht, ob ich dann doch lieber weiter einsam wäre.

Freitag, 12. April 2013

In Spanien - Teil I: Das Elend

In Spanien lebten meine drei Freunde, meine Tochter Samantha und ich bei einem alten Mann. Unser Zuhause war ein kleines, schon sehr in die Jahre gekommenes Häuschen neben einem verlassenen Sportplatz. Ich kann wohl sagen, dass wir ziemlich ärmlich lebten. Wir bekamen von dem alten Mann allerdings immer etwas zu essen, so Reste oder altes Brot, mal auch ein Stückchen Käse, einige Male sogar Trockenfutter. Er gewährte uns Schutz in seinem Haus vor Regen, Kälte oder übermäßiger Hitze. Als Gegenleistung sollten wir sein Haus bewachen und die Jugendlichen von dem Grundstück fernhalten. Vor allem erwartete er aber Gehorsam, was er auch mit Schlägen und Tritten deutlich machte.

Ich wußte nicht, ob wir es bei dem alten Mann gut oder schlecht hatten. Ich kannte es ja nicht anders. Bis er starb. Die endlosen Monate danach waren für uns die Hölle auf Erden. Es ist schwer, darüber zu sprechen, aber vielleicht hilft es mir und auch anderen Hunden. Es ist nämlich mein größter Wunsch, dass liebe Menschen auch den anderen schutzlosen Hunden helfen  - genauso, wie mir letztendlich geholfen wurde. Aber der Reihe nach.

Eines Tages starb der alte Mann, einfach so. Nach ein paar Tagen kamen fremde Menschen und räumten das Haus aus. Sie nahmen alles mit, was für sie irgendein Wert hatte. Wir waren für sie natürlich einfach  wertlos. Sie ließen uns, fünf Hunde, alleine in dem verfallenen Haus. Wir verstanden das gar nicht. Was sollten wir jetzt machen? Wer würde sich um uns kümmern? Woher sollten wir etwas zu essen und zu trinken bekommen? Wer könnte uns beschützen, wenn böse Menschen kämen?
Foto: Finca Lucendum

Wir alle hatten Angst. Am meisten fürchtete ich um meine kleine Tochter, weil sie ohnehin so schüchtern und Menschenscheu war. Wie sollte ich sie beschützen? Wir trauten uns nur in der Nacht oder in der Morgendämmerung hinaus, um etwas zum Essen zu suchen. Nach einigen hungrigen Tagen entdeckte einer von uns einen Müllcontainer, der gar nicht so weit entfernt vom Haus stand. Darin konnten wir immer etwas finden, was noch essbar war. Wir waren ja wirklich nicht wählerisch, aber manchmal mußten wir einfach Sachen essen, wovon mir heute immer noch ganz schlecht ist.

Richtig schlimm wurde es, als die Kinder und Jugendlichen entdeckten, dass unser Haus jetzt leer steht. Wir mußten ständig aufpassen, dass wir uns bloß schnell genug in den Büschen versteckten, wenn sie wieder kamen. Ihnen schien es Spaß zu machen, alles Restliche im und am Haus zu zerstören - vor allem uns zu quälen. Weil ich immer dafür sorgte, dass meine Tochter in Sicherheit war, konnte ich ihnen einige Male nicht entkommen. Ich will das gar nicht genauer beschreiben, aber Steine, Mopeds, Stöcke, lautes Gegröhle und Kapuzenpullis haben für mich seither eine tiefgehende Bedeutung.

Sicher wären wir eines Tages in einer staatlichen Auffangsstation (Perrera) gelandet, wo es kaum noch einen Ausweg gegeben hätte - wenn nicht nach Monaten des Alleinseins und des Leidens eine freundliche fremde Frau uns entdeckt hätte. Es war schon Herbst, es regnete öfter und ich wußte nicht, wie wir den Winter überstehen sollten. Außerdem spürte ich, dass ich wieder schwanger war. Die fremde Frau brachte uns jeden Tag etwas zu essen und frisches Wasser. Zwar hielten wir einen großen Abstand zu der Frau, aber sie machte unser Leben doch etwas leichter.
Foto: Finca Lucendum

Nach ein paar Wochen tauchte die fremde Frau mit zwei anderen Menschen und einer kleinen Hündin auf. Wir lagen gerade im Schatten, ziemlich weit entfernt vom Haus. Sie entdeckten uns trotzdem sofort. Als sie aber versuchten, näher zu kommen, wichen wir zurück. Sie wirkten zwar überhaupt nicht bedrohlich, aber man konnte ja nie wissen. Die zwei neuen Menschen hatten auch graue Haare und wirkten ebenfalls sehr freundlich. Das war eigentlich ein gutes Zeichen. Und sie sprachen sehr lieb mit ihrer kleinen Hündin, die uns etwas zurief. Wir waren aber zu weit weg. Die Menschen machten ein Zeichen, dass wir zu ihnen kommen sollten, was wir selbstredend absichtlich übersahen. Sie warfen etwas vor die Tür des Hauses und schienen sich zu entfernen. Irgendwie interessant war das schon.

Foto: Finca Lucendum
Nach einer Weile ging ich mit meiner Tochter vorsichtig nachsehen. Dort lagen mehrere Leckerlies auf dem Boden und sogar ein Kügelchen mit ganz weicher Wurst. Ich roch mißtrauisch daran und noch bevor ich sie warnen konnte, hatte meine Tochter das Kügelchen schon verschlungen. Kurz danach wurde sie plötzlich ganz müde und legte sich einfach vor das Haus hin. Ich bekam Angst - das war wirklich nicht gut. Ich konnte sie aber nicht wegzerren, denn ich hörte die Menschen zurückkommen. Mir blieb nichts übrig als wegzulaufen und meine arme Tochter alleine zurück zu lassen. Aber gegen drei Menschen war ich machtlos. Als ich sah, dass sie meine Tochter mitnahmen, mußte ich bitterlich weinen. Das Einzige, was mich tröstete, war zu sehen, wie liebevoll diese Menschen mit ihr umgingen. Vielleicht waren sie doch nicht böse. Unsere drei Freunde sahen die Menschen trotzdem als Bedrohung an und wollten einfach weiter weglaufen, irgendwo einen sicheren Platz suchen. Ich wollte aber nicht mit. Ich hoffte noch, dass diese Menschen vielleicht doch meine Tochter zurückbringen würden.

Ein paar Tage danach fühlte ich mich einfach schwach und krank. Ich hatte keine Energie mehr für mich, geschweige denn für das Baby in meinem Bauch. Ich begann aufzugeben, wollte mich hinlegen und nicht mehr aufstehen. In dem Moment kamen diese Menschen wieder, aber nur die zwei Grauen. Und die kleine Hündin war wieder dabei. Sie rief mir freundlich zu und sagte, dass sie Paulinchen sei und dass es gute Menschen seien. Sie hätte meine Tochter gerettet und würden vielen Hunden helfen. Außerdem seien sie sehr liebe Menschen. Sie würden in einem großen Haus mit schönem Garten und viel Platz zum spielen leben. Das wichtigste sei jedoch, dass es  immer etwas Gutes zu essen gäbe. Mir war inzwischen eigentlich alles egal und als sie mir auch so ein Wurstkügelchen zuwarfen, aß ich es. Ich wurde so müde und schlief fast ein. Ich fühlte nur, wie sanfte Hände mich streichelten und mich hoch hoben. Die graue Frau duftete gut. Sie flüsterte in mein Ohr: "Jetzt brauchst Du keine Angst mehr haben. Willkommen auf der Finca Lucendum, liebe kleine Pia."

Donnerstag, 11. April 2013


In Spanien

Es fällt mir sehr schwer, aber ich werde in den nächsten Tagen versuchen zu erzählen, wie es für mich in Spanien war. So viel kann ich verraten, dass das Ende glücklich ist! Es gab so viel Elend, Schmerz, Verzweiflung, bevor die Engel von Finca Lucendum zu mir kamen. Also, bis bald! Eure Pia

Dienstag, 9. April 2013

Meine beste Freundin Zina

Gestern Abend beim spazieren gehen habe ich wieder meine beste Freundin Zina getroffen. Sie wohnt hier ganz in der Nähe mit ihrem Menschen, Mama B. Wir haben uns von Anfang an sehr gut verstanden, weil sie ja auch adoptiert worden ist. Zina weiß genau so gut wie ich, wie es sich anfühlt, verlassen oder abgeschoben zu werden. Wie  schmerzhaft es ist, wenn einem das Herz gebrochen wird. Man wünscht sich dann, dass man gar kein Herz mehr hätte. Sie wurde damals allen Menschen gegenüber eine richtige Zicke. Ich dagegen hatte mich ja fast aufgegeben. Aber jetzt bei Mama B. ist sie eine echte Knutschkugel. Wie ich alles überstanden habe, erzähle ich bei Gelegenheit. Jetzt möchte ich lieber über meine beste Freundin schreiben.

Meistens ist Zina super gut drauf und wir haben sehr viel Spaß miteinander. Wenn sie mich von Weitem sieht, läßt ihre Mama B. sie immer zu mir laufen. Dann sieht sie aus wie ein kleines Wollknäuel in der Kurve mit 200 Km/h. Zina ist witzig und spielt sehr gerne. Wir erzählen uns gegenseitig immer alles - und auch das Lästern über ein paar Hündinnen aus der Nachbarschaft gehört natürlich dazu.

Gestern war sie etwas zickig, weil sie gerade die Zeit hat, in der sie - öh, wie soll ich sagen - lieber einen Rüden getroffen hätte. Dieses Thema habe ich zum Glück schon hinter mir. Leider habe ich ja auch genug aufdringliche Machos in Spanien kennen lernen müssen. Nette Jungs als Freunde sind ja noch erträglich. Die gibt es hier auch, überraschenderweise. Trotz ihrer etwas schlechten Laune teilte Zina einen Bonbon von ihrer Mama B. sehr gerne mit mir.


Weil Zina einige Jahre jünger ist, hat sie manchmal natürlich auch andere Interessen als ich: zum Beispiel Kleider. Im Winter trägt sie oft Pullis bzw. Westen oder Mäntel, besser gesagt bei ihrer Größe wohl eher Mäntelchen. Sie zeigt mir diese dann immer ganz stolz. Ich kann mit Kleidung nicht so viel anfangen, aber schön, wenn sie ihr gefällt. Meine Menschen meinten einmal, dass ich sicherlich im Winter friere, weil ich aus Spanien komme. Wir gingen in ein Tiergeschäft und meine Menschen zeigten mir alle möglichen Kleider, mit oder ohne Kapuze, mit oder ohne Futter, mit oder ohne Muster. Es hätte mich alles nicht weniger interessieren können. Ich versuchte zuerst einfach wegzuschauen und es zu ignorieren. Ich drehte ihnen sogar den Rücken zu. Aber als sie meinten, ich solle doch einen Mantel anprobieren, da mußte ich ganz deutlich werden. Ich zeigte ihnen unmißverständlich, dass ich innerhalb der nächsten zwei Sekunden auf den Boden pisele, wenn wir nicht sofort das Geschäft verlassen. Na ja, das Thema Kleidung war damit zuerst einmal erledigt. Aber eigentlich sieht Zina mit ihren Pullis ganz süß aus. Hmh, vielleicht überlege ich es mir doch noch anders. Es hat ja hoffentlich noch Zeit, bis der nächste Winter kommt.



Montag, 8. April 2013


Heute Nacht kamen sie wieder, die Kinder und Jugendlichen. Einige hatten Steine in den Händen, andere fuhren mit Mopeds. Ich versuchte schnell wegzulaufen, aber sie sahen mich. Sie jagten mich über die Straße, auf einen großen Platz. Sie kamen immer näher, egal wie schnell ich lief. Sie bewarfen mich mit Steinen, es tat so unheimlich weh. Ich jaulte ganz laut. Sie jagten mich mit den Mopeds, es war so laut und ich hatte furchtbare Angst. Ich war ganz alleine und schutzlos. Warum taten sie das? Immer wieder? Warum lachten und gröhlten sie so laut dabei? Ich jaulte und bellte. Die Angst, der Schmerz.

Plötzlich fühlte ich eine Hand mich streicheln und eine leise Stimme: „Ist ja alles gut, Pia, ist ja alles gut. Keine Angst. Da ist keiner. Das war nur wieder ein böser Traum.“ Die bösen Kinder und Jugendlichen waren weg. Ich bellte vorsichtshalber noch zwei Mal laut, aber es war alles ruhig. Ich saß auf dem Bett bei meinen Menschen. In Sicherheit. Ich kuschelte mich ganz eng an sie und schlief irgendwann wieder ein.

Mit diesen Alpträumen ist es schon besser geworden, viel besser. Es wird ja gesagt, die schlimmen Erinnerungen sind leichter zu ertragen, wenn man über sie spricht. Und wenn man sich an den schönen Erinnerungen festhalten kann. Deswegen werde ich Euch alles erzählen. Alles was schlimm war bevor ich gerettet wurde und alles was ich jetzt schönes erleben darf.

Eure Pia