Es sei einzig und alleine meine
Entscheidung, ob ich mit jemandem mitgehen wollte oder nicht. Es sei
völlig in Ordnung, wenn ich zeigen würde, dass ein Mensch mir nicht
gefällt. In diesem Fall dürfte ich ohne Probleme weiter auf der
Finca Lucendum bleiben. Das hatten meine Mama Gisi und mein Papa Ralf
mir in den letzten
Foto: Finca Lucendum |
Einige Tage später ist Gisi dann am Nachmittag weggefahren, um diese Frau abzuholen. Deutschland schien
dann ja doch nicht so weit weg zu sein, wenn man mal so einfach mit
dem Auto hinfahren konnte. Eigentlich war ich nicht aufgeregt,
sondern nur sehr skeptisch. Es gab für mich auf der Welt nur zwei
Menschen denen ich vertraute, Gisi und Ralf. Ich glaubte nicht, dass
jemand mich davon überzeugen konnte, sie und die Finca zu verlassen.
Sie war erstens so klein, dass ich das Gefühl bekam, sie
beschützen zu müssen. Zweitens wirkte sie ganz merkwürdig steif
und angespannt. Was sie wohl hatte? Ich schnüffelte die Luft. Hatte
sie eventuell Bange vor so vielen Hunden? Das konnte dann noch heiter
werden. Sie versuchte uns alle - dreißig oder vierzig Hunde -
irgendwie zu begrüßen und lief weiter hinter Gisi her in Richtung
Haus. Die Frau hatte mich wohl bereits in der Menge entdeckt, aber
ich blieb in sicherer Entfernung zu ihr.
Wir folgten Gisi in die Küche. Wir
hatten die Hoffnung, dass sie gleich etwas kochen würde. Sie stellte
sich immer so ungeschickt an, dass ihr oft ziemlich viel leckeres
Essen herunter fiel. Aber diesmal kam auch die
Peter, Paul und Rona. Foto: Finca Lucendum |
Als ich wieder aufwachte, saßen die
Menschen schon beim Abendbrot. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass
es schon so spät war, und mußte mich sehr beeilen, damit nicht meine
Freunde alles abbekamen. In dieser Hektik merkte ich gar nicht, dass
ich auch ein Stück Käse von der fremden Frau genommen hatte. Es
schmeckte aber genauso, wie der Käse von Gisi und Ralf. Die Fremde
wirkte nicht mehr so angespannt, sondern schien die Aufmerksamkeit
von so vielen Hunden allmählich zu geniessen. Ich saß mittig unter
dem
Tisch, denn das war der beste Platz, um alle Hände erreichen zu
können. Spike turnte wieder auf dem Tisch herum und heulte
pathetisch, wie hungrig er war. Bonnie Blue und Antonia lagen
würdevoll neben dem Tisch. Der kleine Winnetou versuchte an Ralfs
Bein hochzuklettern. Die liebe Paulinchen saß neben Gisi, und die
anderen drängelten sich an dem Tisch herum.
Eigentlich wollte ich die fremde Frau
weiter ignorieren, aber der Käse schmeckte zu gut. Schnell bemerkte
ich außerdem, dass ich von ihr immer zwei Stücke gleichzeitig
bekam, bevor sie auch den anderen etwas gab. Nach einer Weile
erlaubte ich ihr sogar, mich kurz zu streicheln. Es gehört ja zu
einer guten Kinderstube, dass man sich für solche Leckerbissen auch
irgendwie dankbar zeigt. Übertreiben brauchte man es dann aber auch
wieder nicht und so ging ich bald in den Garten. Dabei bemerkte
ich, wie die Frau mir hinterher schaute. Na ja, schauen tat ja nicht
weh.
Hinter dem Zaun gelegen gab es auf der
Finca auch ein kleines Gästehaus. Dort sollte die fremde Frau
übernachten. Als es schon ziemlich spät und dunkel war, kam meine
Mama Gisi zu mir und nahm mich auf den Arm. Sie flüsterte mir ins
Ohr, dass ich es einfach für eine Nacht ausprobieren sollte und
falls es mir nicht gefällt, würde die Frau wieder nach Hause
fahren. Bevor ich Gisi fragen konnte, was ich denn ausprobieren
sollte, drückte sie mich schon der Frau in den Arm und wünschte uns
eine gute Nacht. Oh nein, die Frau nahm mich mit in das Gästehaus.
Gut, eine Nacht würde ich es wohl aushalten und Morgen ginge die
Frau dann sicher wieder weg.
Vorher bin ich noch nie in dem Gästehaus
gewesen. Dort sah es zwar sehr gemütlich aus, aber ich wollte ja nur
die Nacht überstehen. Die Frau setzte mich auf den Fußboden und
kramte irgendetwas aus ihrer Tasche hervor. Dann setzte sie sich
etwas weiter weg auch auf den Boden und schien mich gar nicht weiter
zu beachten. Ich schielte unauffällig rüber und sah, dass sie etwas
in der Hand hatte. Mmh, es roch wirklich gut. Sie warf etwas in meine
Richtung und ich kam ein paar Schritte näher. Leckerlies! So was von
gut! Mit Leckerlies schienen sie sich in diesem Deutschland auf jedem Fall
auszukennen. Es schmeckte so gut, dass ich nach
Die erste Nacht |
In der Nacht kamen die Alpträume
wieder. Ich mußte wohl geweint oder gejault haben, weil die Frau
mich immer beruhigend streichelte, wenn ich wieder aufwachte. Dadurch
konnte ich sehr schnell wieder einschlafen und so verging die ganze
Nacht. So kam es, dass ich mir nicht helfen konnte, aber als die
Sonne wieder aufstieg, hatte ich diese fremde Frau wider Willen ins
Herz geschlossen. Sie schien mich doch beschützen zu können und an
liebevollen Streicheleinheiten würde es mir sicher auch nicht fehlen
– und wohl auch nicht an Leckerlies. Sollte ich doch mit ihr gehen?
An diesem Morgen gingen wir zuerst
gemeinsam frühstücken. Nach dem
Frühstück lächelten mich Gisi und Ralf an und ich durfte noch eine
Weile auf dem Schoß der Frau sitzen. Dann passierte das Unfassbare,
die Menschen standen auf, räumten wie immer den Tisch ab, die Frau
streichelte mich noch ein Mal kurz und verließ mit Gisi die Finca.
Beide stiegen ins Auto und fuhren fort. Ohne mich. Die Frau fuhr ohne
mich wieder fort. Traurig guckte ich ihr nur hinterher und fühlte,
wie sich
Foto: Finca Lucendum |
Es traf mich wie ein Blitz aus heiterem
Himmel, es mußte wohl ganz anders sein. Es war nicht mehr meine
Entscheidung – die Frau wollte mich nicht. So versteckte ich mich
unter einem Olivenbaum, damit keiner sah, wie traurig ich war. Sie
hat sich nicht für mich entschieden. Vielleicht hätte ich die Frau
gestern nicht anknurren sollen. Oder waren meine Alpträume in der
Nacht für sie zu anstrengend gewesen? War ich ihr zu hässlich oder
mit meinen sechs Wintern ihr schon zu alt? Ich weinte leise vor mich
hin. Dabei hatte ich schon angefangen mir auszumalen, dass sie mein
Frau-Mensch wird, vielleicht sogar mein Mama-Mensch. Nach allen
Enttäuschungen in meinem Leben hätte ich es besser wissen sollen.
Ich trocknete meine Tränen und versuchte, positiv zu denken. Auf der
Finca zu bleiben war ja auch alles andere als schlecht. Aber der
Frau-Mensch ging mir nicht so einfach aus dem Kopf. Und dann kamen
die Tränen wieder. Deswegen wollte ich Gisi diesmal auch nicht
begrüßen, als ich sie zurückkommen hörte. Ich blieb einfach unter
dem Baum sitzen.
Als ich eine Stimme nach mir rufen
hörte, sprang ich jedoch schneller als jemals zuvor in meinem Leben
auf. Mein Frau-Mensch war zurückgekommen und sie suchte nach mir!
Ich rannte zu ihr und sprang ganz weit an ihr hoch, fast bis auf
ihren Schoß. Das war zwar keine so große Leistung, weil die Frau ja
so klein war, aber
Mein Mensch erzählte mir über ihr
Leben in Deutschland und ich erzählte ihr über mein Leben. Es war
ein wunderbarer Tag. Ich erfuhr endlich, dass Deutschland ein Land
ist, das weiter nördlich liegt und viel kälter als Spanien ist. Wir
würden dahin fliegen müssen. Bevor ich bemerken konnte, dass ich
doch gar nicht fliegen kann, erzählte sie mir, dass wir mit einem
Flugzeug reisen würden. Das konnte ich mir nicht so recht
vorstellen, aber ich hätte alles getan, nur um mitgehen zu dürfen.
Sie erzählte auch von ihrer Familie – oder eigentlich ja jetzt von
unserer. Ich bekäme noch einen Papa-Menschen, der mich ebenfalls
sehr sehr lieb haben würde, einen Schwester-Menschen, der keine
Tiere quält, obwohl es sich um eine Jugendliche handelt und sogar
einen Oma-Menschen, der für mich sicher immer ein paar
Extra-Leckerlies übrig hat. In meiner neuen Familie gibt es keine
anderen Hunde, was mich wirklich sehr beruhigte hat. Aber drei
Kaninchen und zwei Katzen leben noch im Haushalt, was mich dann doch
wieder etwas beunruhigte. Mit Katzen kann ich nicht so viel anfangen,
aber so schlimm konnte es auch wieder nicht werden. Ich fühlte schon
in diesem Moment, dass ich sicher nie mehr einsam sein würde und nie
mehr Angst haben müßte.
Pia vor der Rettung 2010, Foto: FL |
Gisi und Ralf mußten mich gar nicht
mehr fragen, ob ich mich entschieden hätte. Es war für sie ja
offensichtlich. Ich war ihnen für alles so sehr dankbar, aber meinem
eigenen Frau-Mensch mußte ich einfach überall hin folgen, sogar bis
in dieses Deutschland. Es ist mir sehr schwer gefallen, mich von
meinen lieben Eltern Gisi und Ralf, meiner lieben kleinen Tochter
Samantha und von allen meinen Freunden zu verabschieden, die sich
alle sehr für mich freuten. Am nächsten Morgen fuhren wir dann
gemeinsam fort, mein Mensch und ich.
Pia 2013 in Deutschland |
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