Donnerstag, 18. April 2013

In Spanien - Teil III: Das Unbekannte


Es sei einzig und alleine meine Entscheidung, ob ich mit jemandem mitgehen wollte oder nicht. Es sei völlig in Ordnung, wenn ich zeigen würde, dass ein Mensch mir nicht gefällt. In diesem Fall dürfte ich ohne Probleme weiter auf der Finca Lucendum bleiben. Das hatten meine Mama Gisi und mein Papa Ralf mir in den letzten
Tagen sehr oft gesagt, weil sich wohl irgendeine Familie gemeldet hatte. Eine Frau sollte aus Deutschland
Foto: Finca Lucendum
kommen und mich zu ihrer Familie holen. Aber es war ja meine Entscheidung und ich war mir noch gar nicht sicher, ob ich überhaupt die Geborgenheit der Finca verlassen wollte. Ach, und dann war da wieder dieses Deutschland, vielleicht würde mir irgendjemand irgendwann erzählen, was es war.

Einige Tage später ist Gisi dann am Nachmittag weggefahren, um diese Frau abzuholen. Deutschland schien dann ja doch nicht so weit weg zu sein, wenn man mal so einfach mit dem Auto hinfahren konnte. Eigentlich war ich nicht aufgeregt, sondern nur sehr skeptisch. Es gab für mich auf der Welt nur zwei Menschen denen ich vertraute, Gisi und Ralf. Ich glaubte nicht, dass jemand mich davon überzeugen konnte, sie und die Finca zu verlassen.


Als wir das Auto zurückkommen hörten, liefen wir alle wie üblich zum Tor, um Gisi zu begrüßen. Etwas neugierig war ich schon und wollte als erste die Frau aus Deutschland begutachten. Da kamen sie schon durch das Tor und mein erster Eindruck war, dass es garantiert mit dieser Frau nie etwas werden würde. 

Sie war erstens so klein, dass ich das Gefühl bekam, sie beschützen zu müssen. Zweitens wirkte sie ganz merkwürdig steif und angespannt. Was sie wohl hatte? Ich schnüffelte die Luft. Hatte sie eventuell Bange vor so vielen Hunden? Das konnte dann noch heiter werden. Sie versuchte uns alle - dreißig oder vierzig Hunde - irgendwie zu begrüßen und lief weiter hinter Gisi her in Richtung Haus. Die Frau hatte mich wohl bereits in der Menge entdeckt, aber ich blieb in sicherer Entfernung zu ihr.

Wir folgten Gisi in die Küche. Wir hatten die Hoffnung, dass sie gleich etwas kochen würde. Sie stellte sich immer so ungeschickt an, dass ihr oft ziemlich viel leckeres Essen herunter fiel. Aber diesmal kam auch die
Peter, Paul und Rona. Foto: Finca Lucendum
fremde Frau mit in die Küche. Sie schielte zu mir rüber und machte Anstalten, näher kommen zu wollen. Das ging aber mal gar nicht, ich knurrte sie an. Sie wich zurück und wirkte etwas überrascht und auch irgendwie traurig. Ich schaute Gisi fragend an, ob das mit dieser Frau ihr ernst sei. Gisi streichelte mir aber nur kurz über den Kopf und meinte, dass ich der Frau erst Mal ein bisschen Zeit geben sollte. Dabei hatte ich mich eigentlich schon entschieden und wollte mich von dieser komischen Frau einfach fern halten. Als ich dann ins Wohnzimmer ging, folgte die Frau mir. Mußte ich noch deutlicher werden? Ich knurrte sie erneut kurz an und versteckte mich unter dem Sofatisch. Die Frau setzte sich einfach auf einen Sessel und schien zu warten, sicherlich nur auf das Essen. Einige von meinen Freunden gingen zu ihr und sie wurden freundlich gestreichelt. Ja, das war wirklich eine gute Idee, sollte sie doch einen von ihnen mitnehmen und mir meine Ruhe lassen. Über diese Gedanken hinweg schlief ich vor Müdigkeit ein.

Als ich wieder aufwachte, saßen die Menschen schon beim Abendbrot. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass es schon so spät war, und mußte mich sehr beeilen, damit nicht meine Freunde alles abbekamen. In dieser Hektik merkte ich gar nicht, dass ich auch ein Stück Käse von der fremden Frau genommen hatte. Es schmeckte aber genauso, wie der Käse von Gisi und Ralf. Die Fremde wirkte nicht mehr so angespannt, sondern schien die Aufmerksamkeit von so vielen Hunden allmählich zu geniessen. Ich saß mittig unter dem
Tisch, denn das war der beste Platz, um alle Hände erreichen zu können. Spike turnte wieder auf dem Tisch herum und heulte pathetisch, wie hungrig er war. Bonnie Blue und Antonia lagen würdevoll neben dem Tisch. Der kleine Winnetou versuchte an Ralfs Bein hochzuklettern. Die liebe Paulinchen saß neben Gisi, und die anderen drängelten sich an dem Tisch herum.

Eigentlich wollte ich die fremde Frau weiter ignorieren, aber der Käse schmeckte zu gut. Schnell bemerkte ich außerdem, dass ich von ihr immer zwei Stücke gleichzeitig bekam, bevor sie auch den anderen etwas gab. Nach einer Weile erlaubte ich ihr sogar, mich kurz zu streicheln. Es gehört ja zu einer guten Kinderstube, dass man sich für solche Leckerbissen auch irgendwie dankbar zeigt. Übertreiben brauchte man es dann aber auch wieder nicht und so ging ich bald in den Garten. Dabei bemerkte ich, wie die Frau mir hinterher schaute. Na ja, schauen tat ja nicht weh.

Hinter dem Zaun gelegen gab es auf der Finca auch ein kleines Gästehaus. Dort sollte die fremde Frau übernachten. Als es schon ziemlich spät und dunkel war, kam meine Mama Gisi zu mir und nahm mich auf den Arm. Sie flüsterte mir ins Ohr, dass ich es einfach für eine Nacht ausprobieren sollte und falls es mir nicht gefällt, würde die Frau wieder nach Hause fahren. Bevor ich Gisi fragen konnte, was ich denn ausprobieren sollte, drückte sie mich schon der Frau in den Arm und wünschte uns eine gute Nacht. Oh nein, die Frau nahm mich mit in das Gästehaus. Gut, eine Nacht würde ich es wohl aushalten und Morgen ginge die Frau dann sicher wieder weg.

Vorher bin ich noch nie in dem Gästehaus gewesen. Dort sah es zwar sehr gemütlich aus, aber ich wollte ja nur die Nacht überstehen. Die Frau setzte mich auf den Fußboden und kramte irgendetwas aus ihrer Tasche hervor. Dann setzte sie sich etwas weiter weg auch auf den Boden und schien mich gar nicht weiter zu beachten. Ich schielte unauffällig rüber und sah, dass sie etwas in der Hand hatte. Mmh, es roch wirklich gut. Sie warf etwas in meine Richtung und ich kam ein paar Schritte näher. Leckerlies! So was von gut! Mit Leckerlies schienen sie sich in diesem Deutschland auf jedem Fall auszukennen. Es schmeckte so gut, dass ich nach
Die erste Nacht
einer Weile sogar ein paar aus ihrer Hand nahm. Ja, und dann durfte sie mich auch noch mal streicheln. Es war gar nicht so übel. Es war sogar richtig angenehm. In dem Gästehaus war es so ruhig, dass ich ganz schnell müde wurde. Die Frau hatte zwar für mich eine Decke auf den Boden gelegt, sie meinte aber, dass ich auch bei ihr im Bett schlafen könnte, wenn ich wollte. Ich überlegte kurz und entschied mich für das Bett. Was könnte eine Nacht in einem weichen Bett schon schaden?

In der Nacht kamen die Alpträume wieder. Ich mußte wohl geweint oder gejault haben, weil die Frau mich immer beruhigend streichelte, wenn ich wieder aufwachte. Dadurch konnte ich sehr schnell wieder einschlafen und so verging die ganze Nacht. So kam es, dass ich mir nicht helfen konnte, aber als die Sonne wieder aufstieg, hatte ich diese fremde Frau wider Willen ins Herz geschlossen. Sie schien mich doch beschützen zu können und an liebevollen Streicheleinheiten würde es mir sicher auch nicht fehlen – und wohl auch nicht an Leckerlies. Sollte ich doch mit ihr gehen?

An diesem Morgen gingen wir zuerst gemeinsam frühstücken. Nach dem Frühstück lächelten mich Gisi und Ralf an und ich durfte noch eine Weile auf dem Schoß der Frau sitzen. Dann passierte das Unfassbare, die Menschen standen auf, räumten wie immer den Tisch ab, die Frau streichelte mich noch ein Mal kurz und verließ mit Gisi die Finca. Beide stiegen ins Auto und fuhren fort. Ohne mich. Die Frau fuhr ohne mich wieder fort. Traurig guckte ich ihr nur hinterher und fühlte, wie sich
Foto: Finca Lucendum
meine Augen mit Tränen füllten. Gestern hätte ich mich noch geweigert, mit der Frau zu gehen. Aber das war doch gestern! Heute hätten die Menschen doch bemerken müssen, dass alles anders war. Haben sie denn nicht verstanden, dass ich bereits mein Herz an die Frau verschenkt hatte?

Es traf mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel, es mußte wohl ganz anders sein. Es war nicht mehr meine Entscheidung – die Frau wollte mich nicht. So versteckte ich mich unter einem Olivenbaum, damit keiner sah, wie traurig ich war. Sie hat sich nicht für mich entschieden. Vielleicht hätte ich die Frau gestern nicht anknurren sollen. Oder waren meine Alpträume in der Nacht für sie zu anstrengend gewesen? War ich ihr zu hässlich oder mit meinen sechs Wintern ihr schon zu alt? Ich weinte leise vor mich hin. Dabei hatte ich schon angefangen mir auszumalen, dass sie mein Frau-Mensch wird, vielleicht sogar mein Mama-Mensch. Nach allen Enttäuschungen in meinem Leben hätte ich es besser wissen sollen. Ich trocknete meine Tränen und versuchte, positiv zu denken. Auf der Finca zu bleiben war ja auch alles andere als schlecht. Aber der Frau-Mensch ging mir nicht so einfach aus dem Kopf. Und dann kamen die Tränen wieder. Deswegen wollte ich Gisi diesmal auch nicht begrüßen, als ich sie zurückkommen hörte. Ich blieb einfach unter dem Baum sitzen.

Als ich eine Stimme nach mir rufen hörte, sprang ich jedoch schneller als jemals zuvor in meinem Leben auf. Mein Frau-Mensch war zurückgekommen und sie suchte nach mir! Ich rannte zu ihr und sprang ganz weit an ihr hoch, fast bis auf ihren Schoß. Das war zwar keine so große Leistung, weil die Frau ja so klein war, aber
ich freute mich einfach so sehr. Fast mußte ich wieder weinen, diesmal vor Glück. Gisi und die Frau waren nur Hundefutter kaufen gewesen. Sofort durfte ich auf den Arm und dort blieb ich dann fast den ganzen restlichenTag.

Mein Mensch erzählte mir über ihr Leben in Deutschland und ich erzählte ihr über mein Leben. Es war ein wunderbarer Tag. Ich erfuhr endlich, dass Deutschland ein Land ist, das weiter nördlich liegt und viel kälter als Spanien ist. Wir würden dahin fliegen müssen. Bevor ich bemerken konnte, dass ich doch gar nicht fliegen kann, erzählte sie mir, dass wir mit einem Flugzeug reisen würden. Das konnte ich mir nicht so recht vorstellen, aber ich hätte alles getan, nur um mitgehen zu dürfen. Sie erzählte auch von ihrer Familie – oder eigentlich ja jetzt von unserer. Ich bekäme noch einen Papa-Menschen, der mich ebenfalls sehr sehr lieb haben würde, einen Schwester-Menschen, der keine Tiere quält, obwohl es sich um eine Jugendliche handelt und sogar einen Oma-Menschen, der für mich sicher immer ein paar Extra-Leckerlies übrig hat. In meiner neuen Familie gibt es keine anderen Hunde, was mich wirklich sehr beruhigte hat. Aber drei Kaninchen und zwei Katzen leben noch im Haushalt, was mich dann doch wieder etwas beunruhigte. Mit Katzen kann ich nicht so viel anfangen, aber so schlimm konnte es auch wieder nicht werden. Ich fühlte schon in diesem Moment, dass ich sicher nie mehr einsam sein würde und nie mehr Angst haben müßte.
Pia vor der Rettung 2010, Foto: FL

Gisi und Ralf mußten mich gar nicht mehr fragen, ob ich mich entschieden hätte. Es war für sie ja offensichtlich. Ich war ihnen für alles so sehr dankbar, aber meinem eigenen Frau-Mensch mußte ich einfach überall hin folgen, sogar bis in dieses Deutschland. Es ist mir sehr schwer gefallen, mich von meinen lieben Eltern Gisi und Ralf, meiner lieben kleinen Tochter Samantha und von allen meinen Freunden zu verabschieden, die sich alle sehr für mich freuten. Am nächsten Morgen fuhren wir dann gemeinsam fort, mein Mensch und ich.
Pia 2013 in Deutschland



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