Dienstag, 16. April 2013

In Spanien - Teil II: Das Gute


Meine ersten drei Tage auf der Finca Lucendum habe ich nur wie durch einen Nebel wahrgenommen. Ich war so erschöpft, dass ich nur schlief oder irgendwie vor mich hin döste. Ich hatte zwar mitbekommen, dass meine Tochter Samantha mich mit strahlenden Augen begrüßte und mir etwas erzählte, aber ich war zu müde und mußte einfach schlafen. Paulinchen, die kleine Hündin, wollte mir alles zeigen, aber auch das mußte warten. Jedoch spürte ich , dass ich in Sicherheit war. Keiner bedrohte mich, keiner schlug mich,
Foto: Finca Lucendum
keiner schrie mich an. Zwar lebten auf der Finca wohl ziemlich viele Hunde, trotzdem hatte ich meine Ruhe.

Plötzlich fiel mir wieder ein, was meine Tochter mir erzählt hatte. Sie hatte etwas von einem Freund erzählt! Ja, bin ich noch bei Trost? Ich habe drei Tage verschlafen, obwohl meine Tochter einen Freund kennengelernt hat. Vielleicht sollte ich mich besser etwas beruhigen, bevor ich Samantha aufsuchte. Schließlich war sie ja schon fast erwachsen, ich sollte mich deshalb nicht so aufregen. Aber ihren Freund wollte ich auf jeden Fall erst ein Mal begutachten. Paulinchen hatte anscheinend gesehen, dass ich wieder munterer war. Jetzt wollte sie mir endlich alles zeigen. Das paßte mir sehr gut, es war ja eine ausgezeichnete Ablenkung, bevor ich meine Tochter wiedertraf.

Foto: Finca Lucendum
Zuerst gingen wir zu den Chefinnen. Alle auf der Finca gehorchten Antonia und Bonnie Blue. Antonia war etwas kurz angebunden und begrüßte mich nur knapp. Bonnie Blue nickte mir wortlos zu. Das war eigentlich gut, weil mir doch etwas Bange war. Sie strahlten Autorität aus und alle wußten sicher instinktiv, dass man sie besser respektierte.Trotzdem waren sie doch sehr freundlich. Paulinchen erzählte mir, dass Antonias Vater ein echter Wolf gewesen ist und dass sie allen beigebracht hat, wie man wölfisch singen kann. Manchmal sangen alle zusammen und die Menschen bewunderten es.
Chico und Antonia, Foto: Finca Lucendum

Ach ja, die Menschen. Ich hatte sie schon ein bisschen verdrängt. Trotz meines Dämmerzustandes hatte ich bemerkt, dass sie mir jeden Tag etwas zu essen und zu trinken gebracht hatten. Ich blickte mich um und sah die Frau draussen mit einer komischen Karre hantieren. Sie brachte etwas zu Tieren, die überaus merkwürdig aussahen. Paulinchen klärte mich auf. Die Frau hieß Gisi und sie brachte gerade Heu zu den Pferden! Von Pferden hatte ich zwar schon mal gehört, aber gesehen hatte ich bisher keine. Paulinchen behauptete, auf der Finca lebten auch noch Schweine, Ziegen und Gänse. Nun, ob ich das glauben sollte, wußte ich nicht so recht.
Foto: Finca Lucendum

Es lebten sehr viele andere Hunde auf der Finca. Ich zählte zehn, aber es waren viel mehr. Sicher drei oder vier mal mehr. Ich fühlte mich doch etwas unsicher. Als die anderen Hunde mich entdeckten, hielt Paulinchen sie davon ab, dass sich alle gleichzeitig auf mich stürzten. Ich konnte mir die vielen Namen gar nicht merken. Es wunderte mich aber sehr, dass alle so freundlich zu mir waren.

Foto: Finca Lucendum
Als ich von hinten Schritte hörte, erschrak ich. Der zweite Mensch kam auf uns zu. Und was tat er? Er kniete sich hin und ließ mich an seine Hand schnüffeln. Ein Mensch kniete sich vor mich hin, das konnte nicht wahr sein! Ich schnupperte vorsichtig an der Hand und der Mann zauberte für Paulinchen und für mich ein Stückchen Käse hervor. Ganz sanft streichelte der Mann meine Schulter. Sein Name ist Ralf, flüsterte Paulinchen. Schon an dem Abend schlief ich auf seinem Schoß.
Pia auf Ralfs Schoß, Foto: FL
Diese zwei Menschen, Gisi und Ralf, sind für mich die größten Helden überhaupt geworden. Ich erfuhr, dass
Karolina, Foto: Finca Lucendum
sie schon viele Jahre lang Hunde wie mich retten und bei sich aufnehmen. Wenn die Hunde zu alt oder zu krank sind, können sie sogar für immer auf der Finca bleiben. Wenn sie aber noch in der gesundheitlichen Verfassung sind, dürfen sie zu eigenen Familien ziehen, die Gisi und Ralf für sie aussuchen. Einige Hunde sind sogar bis nach Deutschland gezogen. Ich konnte damals nichts mit Deutschland anfangen. Vielleicht war es ein Dorf irgendwo weit weg oder sogar eine Insel. Es hatte mich in dem Moment auch nicht so interessiert. Ich lebte gern auf der Finca und liebte Gisi und Ralf einfach dafür, dass sie so liebevoll und gut zu uns waren.

Sie waren sogar zu allen Nervensägen, wie zum Beispiel Spike, sehr lieb. Es war wieder Paulinchen, die mich über ihn aufklärte. Spike ist ein richtig kleiner Kerl mit großen Augen und noch größerer Klappe. Er hält sich für den Chef der Finca. Einige lassen ihn in dem
Spike, hinten Bonnie Blue, Foto: FL
Glauben und tun so, als ob sie auf ihn hören würden. Sogar Gisi und Ralf tun manchmal so. Aber wenn er gute Laune hat, ist er echt sympatisch und manchmal sogar witzig.

Ich lernte auf der Finca viele liebe Freunde kennen, hörte aber auch so viele Leidensgeschichten. Es wundert mich, wie meine Freunde so viel Leid ertragen konnten, ohne, dass ihre kleinen Seelchen zerbrachen. Wie die schon etwas älteren Zwillinge Marte und Jupiter, die kleine Heidi, die
Heidi
taube Karolina oder der mutige Chico, Paulinchens Sohn. Und so viele andere Seelchen.
Zur Finca kam auch ein Welpe, der mich sehr beeindruckte. Sein Name war wohl Bastian, aber alle nannten ihn nur Winnetou, weil er wirklich wie ein kleiner Indianer aussah. Er wurde in einen Müllcontainer geworfen, weil niemand ihn auf dem Markt gekauft hatte. Seine Einstellung war aber so unheimlich positiv, dass man es kaum glauben konnte. Als Winnetou auf der Finca den schwerkranken Hund Gador begegnete, war er nicht
Gador und Winnetou, Foto: FL
mehr zu halten. Er kümmerte sich rührend um den Kranken, war jeden Tag bei ihm, erheiterte ihn mit seinen Geschichten und wenn Gador zu müde war, kuschelte er einfach mit ihm. Es war wirklich erstaunlich, denn durch Winnetous Fürsorge waren die letzten Wochen in Gadors Leben sicher noch sehr viel glücklicher.

Paulinchen, Foto: Finca Lucendum
Kürzlich erreichte mich die sehr traurige Nachricht, dass meine liebste Freundin Paulinchen in hohem Alter über die Regenbogenbrücke gegangen ist. Sie ist eine herzensgute Seele gewesen und hat allen das Gefühl gegeben, sie seien auf der Finca.willkommen. Obwohl ich über ihren Tot sehr traurig bin, weiß ich sicher, dass sie vom Sirius auf uns herunter schaut und mit einem Lächeln auf den Lippen das fröhliche Treiben auf der Finca Lucendum beobachtet.
Unai und Samantha, Foto: FL

Meine Tochter und ihr Freund

Als meine Samantha mir ihren Freund Unai vorstellte, da wußte ich sofort, dass ich mir keine Sorgen mehr um sie machen muß. Jeder, der die unvorstellbar große Liebe zwischen den beiden nicht sofort erkennt, muß blind sein. Samantha himmelt ihren Unai an und der große, ruhige Unai ist rührend zärtlich ihr gegenüber. Beide waren vom ersten Augenblick an unzertrennlich.

Foto: Finca Lucendum (FL)
Gisi und Ralf haben den beiden versprochen, dass sie für immer auf der Finca bleiben dürfen. Samantha ist immer noch sehr scheu und läßt sich kaum von Menschen anfassen. Gisi und Ralf haben aber die Verbindung zwischen Samantha und Unai sofort gespürt, was ich früher eigentlich bei Menschen für unmöglich gehalten habe. Ich bin sehr glücklich, dass meine liebe kleine Tochter so ein wunderbares Leben hat.


Die Angst um meine Babies

Es war mein sechster Winter und der erste, in dem ich nicht frieren mußte. Es regnete, wie immer, aber wir durften im Haus bleiben. Wir bekamen immer genug zu essen und durften es uns aussuchen, wo wir schlafen mochten. Alles wäre gut gewesen, wenn ich mir nicht so große Sorgen um meine ungeborenen Babies hätte machen müssen. Als ich schwanger wurde, waren wir ja alleine in dem verfallenen Haus und es dauerte danach noch Wochen, bis Gisi und Ralf uns fanden. Ich wußte damals, dass ich nicht in der körperlichen Verfassung für eine Schwangerschaft war. Ich ahnte, dass die Geburt nicht einfach werden würde. Aber
Samantha, Foto: FL
vielleicht würde ich dieses Mal meine Babies wenigstens nicht verstecken müssen. Denn früher hat der alte Mann mir alle meine Kinder weggenommen, außer Samantha, die ich sehr lange verstecken konnte.

Kurz vor Weihnachten war es dann so weit. Mein kleiner Sohn war relativ problemlos zur Welt gekommen und er schien auch gesund zu sein. Nach stundenlangen Wehen gebar ich meine süße kleine Tochter, der ich gerade noch sagen konnte, wie sehr ich sie liebe, bevor sie in meinen Armen verstarb. Mit Hilfe von Gisi und Ralf habe ich sie beerdigt. Nun ist sie ein kleines Engelchen und flitzt sicher fröhlich hin und her.

Mein kleiner Sohn wurde Muffin getauft. Er ist ein lieber Kerl, nur klein blieb er nicht lange. Er geriet ganz nach seinem Vater und ist ein sehr großer und kräftiger Junge. Er ist eine Frohnatur und bei allen beliebt.
Muffin und Pia, Foto: FL
Deswegen hat es mich auch nicht überrascht, dass er bereits nach einigen Monaten eine eigene Familie gefunden hat. Ich freue mich so sehr für ihn und bin sicher, dass er es sehr gut auch in Deutschland hat. Wie gesagt, damals wußte ich ja nicht, was Deutschland war, aber es hörte sich sehr lustig an.

Nachdem meine geliebten Kinder so gut versorgt waren, hatte ich Zeit, über mich nachzudenken. Wie gesagt, es war alles perfekt auf der Finca - die Menschen, die Freunde, die Sicherheit, einfach alles. Aber ich fing allmählich doch an, mich etwas unwohl zu fühlen. Sehr lange wußte ich nicht, woran es lag. Es lebten ja viele Hunde auf der Finca und sie spielten wirklich gerne miteinander. Deshalb war es oft ziemlich stürmisch und laut. Ich bin aber eher eine Einzelgängerin und hatte keine Lust zu diesen Gruppenspielen. Außerdem waren ein paar Hunde auf der Finca eingetroffen, denen es sehr viel schlechter ging als mir. Ich muß zugeben, dass ich schon sehr eifersüchtig auf meine Menschen war und meinen Platz - zum Beispiel auf dem Schoß - knurrend verteidigte. Das hätte ich eigentlich nicht gesollt, aber ich wünschte mir Gisi und Ralf eigentlich für
mich alleine. Ich habe ja auch verstanden, dass dies nicht ging, und deshalb fing ich an, mich zurückzuziehen. Als der Sommer kam, wußte ich, dass ich trotz allem einfach einsam war.
Pia


Gisi und Ralf sind die einfühlsamsten Menschen, denen ich begegnet bin. Eines Tages nahmen sie mich in den Arm und fragten direkt, wie ich es denn fände, wenn ich eine eigene Familie bekäme. Ich wußte nicht richtig zu antworten, denn dafür müßte ich ja Finca verlassen. Vielleicht waren dort wieder böse Menschen, die mich schlugen und quälten. Diese gab es ja leider überall. Ich wußte nicht, ob ich dann doch lieber weiter einsam wäre.

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