Dienstag, 5. November 2013

Eine Reise in die Vergangenheit

Einige behaupten, dass man sich seinen Ängsten stellen muß, um diese zu überwinden. Ohne jemanden zu Nahe treten zu wollen, muß ich sagen, dass das großer Blödsinn ist. Wenn Hund so klein ist wie ich und eine große Monsterangstwelle einem entgegen rollt, ist Hund doch ziemlich machtlos. Obwohl ich meine Menschen dabei hatte, wurde unsere Familienreise zum Albtraum für mich. Sie katapultierte mich direkt zurück in meine Vergangenheit, was ich eigentlich nie wieder erleben wollte.

Mit meinen Menschen zu verreisen und neues zu erleben gefällt mir wirklich gut. Dieses Mal fuhren sogar alle mit, auch mein Schwester-Mensch und mein Oma-Mensch. Etwas mulmig wurde mir schon, als wir nach langer Fahrt und einer Zwischenübernachtung ewig lang weiterfuhren. Während jeder Pause wurde es mir immer mehr bewußt, wohin die Reise wohl
dieses Mal führen würde: nach Spanien! Meine Menschen sagten zwar ständig, dass wir nach Süd-Frankreich fahren, aber das ist sicher irgendein mir nicht bekannter Landesteil von Spanien. Als wir dort ankamen, zögerte ich lange, bevor ich überhaupt aus dem Auto hinaus sprang. Meine Menschen wunderten sich etwas, aber sie hätten es doch wissen müssen, dass ich nie mehr dorthin zurück will. Dort ist so viel furchtbares passiert. Nie wollte ich wieder hin. Nie. Und da stand ich nun. Vielleicht hatten sie sogar vorgehabt, mich nach Spanien zurück zu bringen und zu verlassen. Alle waren zum Abschied mitgefahren. Es war möglich, es ist immer möglich.

Als ich mich erleichtern mußte, stieg ich endlich aus. Widerstrebend folgte ich meinen
Menschen auf einen Spaziergang durch den Ort. Alles um mich herum bestätigte meinen Verdacht: es war Spanien. Die Häuser sahen ähnlich aus, einige waren auch genau so heruntergekommen, wie dort, wo ich früher gelebt habe. Auch die Farben stimmten, die engen Gassen, die Gerüche, die südlichen Blumen und Sträuche. Als ich die ersten freilaufenden Hunde begegnete, die mich anschnautzten, wollte ich nur weg. Zum Glück hatte ich mein Mama-Mobil dabei und so konnte ich es benutzen, wann immer ich wollte.


Um meine Menschen nicht zu beunruhigen, versuchte ich ganz tapfer zu sein. Ich konnte mir aber nicht helfen, so dass ich jeden Menschen anbellte, der unser Ferienhaus auch nur kurz ansah. Einmal mußte ich sogar heulen, so wie Antonia es uns auf der Finca Lucendum beigebracht hatte. Mein Mama-Mensch fand mich süß, weil mein Mund wie ein kleines O aussah, aber gleichzeitig sah ich sie Blicke mit meinem Papa-Menschen wechseln. Ja, so
etwas hatte ich noch nie in Deutschland gemacht. Sogar einen kleinen Hund von anderen Touristen, der an einer Leine spazierte, wollte ich verjagen, obwohl ich eigentlich jeden kleinen Hund mag. Aber das war hier ja auch nicht Deutschland. Hier in Spanien mußte ich höllisch aufpassen.

Ein Mal sah ich sogar eine furchtbare Ratte. Sie war zwar schon tot, aber trotzdem. Da wollte ich auch gleich wieder auf den Schoß. Es war in einer Stadt, wo irgendein riesiges Gebäude stand, das größte seiner Art in der ganzen Welt. Besonders mein Mama-Mensch wollte es besichtigen, was uns nicht großartig überraschte. Als sie wieder mit ihren geschichtlichen Fakten anfing, schaltete ich jedoch schnell ab. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es den anderen auch so ging – nach deren leeren Blicken zu beurteilen.

Ich weiß noch, dass in diesem Gebäude irgendeine Kirchen-Babsi oder so gewohnt und ganz wichtig getan hat. Sie hatte irgendwie ihren Stuhl von Vatikan dorthin gebracht. Ziemlich viel Raum war es schon für eine Frau und ihren Stuhl. Ob sie sich selber Babsi nannte, oder war es
vielleicht nur ein Kosename? Sie hieß sicher richtig Barbara. Das wäre auch für mich viel einfacher auszusprechen. Ich übte es ein paar Mal kurz: arr-arr-aaa; arr-aa-rraa. Als ich jedoch merkte, dass alle mich anstarrten, ließ ich es bleiben. War ja auch nicht so wichtig. Aber mit den Kosenamen ist es schon irgendwie etwas verwirrend. Ich heiße ja eigentlich Pia, aber mein Papa-Mensch nennt mich oft Mäuschen. Und mein Mama-Mensch nennt mich Sima oder Simasuu. Das soll etwas Finnländisches sein. Aber Babsi würde wirklich nicht zu mir passen.

Der Ehrlichkeit halber muß ich sagen, dass es dort in Teilspanien auch etwas gab, was mir gefiel: das Essen (aus Deutschland mitgenommen) und – öh – ja, die Wärme. Das war es dann schon. Ne, auch der Berg hat mir gefallen, weil ich dort meinen Mama-Menschen beschützen konnte. An einem Tag machten wir einen Ausflug auf einen Berg, der fast drei Kilometer hoch war. Schon
während der Fahrt merkte ich, dass mit meinem Mama-Menschen etwas nicht stimmte. Sie schrie dauernd irgendetwas wie „nicht so schnell“ oder „nicht so weit rechts“ oder „muß das sein“ oder „aargh“. Je höher wir fuhren, desto kühler wurde es, wie ich leicht feststellen konnte. Aber je höher wir fuhren, desto mehr schwitzte mein Mama-Mensch. Das fand ich schon recht merkwürdig. Auf der Spitze angekommen ging sie nur kurz zum Aussichtsplatz und setzte sich dann auf einen Felsen. Obwohl sie nicht stark hechelte oder ihre Lippen leckte – den Schwanz einziehen kam ja so wie so nicht in Frage – verstand ich sofort, dass sie große
Angst haben mußte. Ich setzte mich auf ihren Schoß und tat ganz entspannt, um ihr zu zeigen, dass es dort doch gar nicht gefährlich sei. Endlich konnte ich auch ein Mal jemandem die Angst nehmen!


Endlich fuhren wir alle zurück nach Hause - ich auch! Selbstverständlich haben meine Menschen mich nicht verlassen und natürlich dachten wir nicht daran, für immer dort in Spanien zu bleiben. Schon bei der Rückreise, als wir in demselben Hotel wieder übernachteten, war ich so froh, dass ich nur herum sprang. Trotzdem dauerte es noch Wochen, bis ich mich von dieser Reise und von all dem Schrecken erholt habe. So eine Begegnung mit meiner Vergangenheit will ich aber nie mehr erleben!
Regen ist auch egal -- Hauptsache es geht nach Hause!