In Spanien


In Spanien - Teil I: Das Elend

In Spanien lebten meine drei Freunde, meine Tochter Samantha und ich bei einem alten Mann. Unser Zuhause war ein kleines, schon sehr in die Jahre gekommenes Häuschen neben einem verlassenen Sportplatz. Ich kann wohl sagen, dass wir ziemlich ärmlich lebten. Wir bekamen von dem alten Mann allerdings immer etwas zu essen, so Reste oder altes Brot, mal auch ein Stückchen Käse, einige Male sogar Trockenfutter. Er gewährte uns Schutz in seinem Haus vor Regen, Kälte oder übermäßiger Hitze. Als Gegenleistung sollten wir sein Haus bewachen und die Jugendlichen von dem Grundstück fernhalten. Vor allem erwartete er aber Gehorsam, was er auch mit Schlägen und Tritten deutlich machte.

Ich wußte nicht, ob wir es bei dem alten Mann gut oder schlecht hatten. Ich kannte es ja nicht anders. Bis er starb. Die endlosen Monate danach waren für uns die Hölle auf Erden. Es ist schwer, darüber zu sprechen, aber vielleicht hilft es mir und auch anderen Hunden. Es ist nämlich mein größter Wunsch, dass liebe Menschen auch den anderen schutzlosen Hunden helfen  - genauso, wie mir letztendlich geholfen wurde. Aber der Reihe nach.

Eines Tages starb der alte Mann, einfach so. Nach ein paar Tagen kamen fremde Menschen und räumten das Haus aus. Sie nahmen alles mit, was für sie irgendein Wert hatte. Wir waren für sie natürlich einfach  wertlos. Sie ließen uns, fünf Hunde, alleine in dem verfallenen Haus. Wir verstanden das gar nicht. Was sollten wir jetzt machen? Wer würde sich um uns kümmern? Woher sollten wir etwas zu essen und zu trinken bekommen? Wer könnte uns beschützen, wenn böse Menschen kämen?
Foto: Finca Lucendum

Wir alle hatten Angst. Am meisten fürchtete ich um meine kleine Tochter, weil sie ohnehin so schüchtern und Menschenscheu war. Wie sollte ich sie beschützen? Wir trauten uns nur in der Nacht oder in der Morgendämmerung hinaus, um etwas zum Essen zu suchen. Nach einigen hungrigen Tagen entdeckte einer von uns einen Müllcontainer, der gar nicht so weit entfernt vom Haus stand. Darin konnten wir immer etwas finden, was noch essbar war. Wir waren ja wirklich nicht wählerisch, aber manchmal mußten wir einfach Sachen essen, wovon mir heute immer noch ganz schlecht ist.

Richtig schlimm wurde es, als die Kinder und Jugendlichen entdeckten, dass unser Haus jetzt leer steht. Wir mußten ständig aufpassen, dass wir uns bloß schnell genug in den Büschen versteckten, wenn sie wieder kamen. Ihnen schien es Spaß zu machen, alles Restliche im und am Haus zu zerstören - vor allem uns zu quälen. Weil ich immer dafür sorgte, dass meine Tochter in Sicherheit war, konnte ich ihnen einige Male nicht entkommen. Ich will das gar nicht genauer beschreiben, aber Steine, Mopeds, Stöcke, lautes Gegröhle und Kapuzenpullis haben für mich seither eine tiefgehende Bedeutung.

Sicher wären wir eines Tages in einer staatlichen Auffangsstation (Perrera) gelandet, wo es kaum noch einen Ausweg gegeben hätte - wenn nicht nach Monaten des Alleinseins und des Leidens eine freundliche fremde Frau uns entdeckt hätte. Es war schon Herbst, es regnete öfter und ich wußte nicht, wie wir den Winter überstehen sollten. Außerdem spürte ich, dass ich wieder schwanger war. Die fremde Frau brachte uns jeden Tag etwas zu essen und frisches Wasser. Zwar hielten wir einen großen Abstand zu der Frau, aber sie machte unser Leben doch etwas leichter.
Foto: Finca Lucendum

Nach ein paar Wochen tauchte die fremde Frau mit zwei anderen Menschen und einer kleinen Hündin auf. Wir lagen gerade im Schatten, ziemlich weit entfernt vom Haus. Sie entdeckten uns trotzdem sofort. Als sie aber versuchten, näher zu kommen, wichen wir zurück. Sie wirkten zwar überhaupt nicht bedrohlich, aber man konnte ja nie wissen. Die zwei neuen Menschen hatten auch graue Haare und wirkten ebenfalls sehr freundlich. Das war eigentlich ein gutes Zeichen. Und sie sprachen sehr lieb mit ihrer kleinen Hündin, die uns etwas zurief. Wir waren aber zu weit weg. Die Menschen machten ein Zeichen, dass wir zu ihnen kommen sollten, was wir selbstredend absichtlich übersahen. Sie warfen etwas vor die Tür des Hauses und schienen sich zu entfernen. Irgendwie interessant war das schon.


Foto: Finca Lucendum
Nach einer Weile ging ich mit meiner Tochter vorsichtig nachsehen. Dort lagen mehrere Leckerlies auf dem Boden und sogar ein Kügelchen mit ganz weicher Wurst. Ich roch mißtrauisch daran und noch bevor ich sie warnen konnte, hatte meine Tochter das Kügelchen schon verschlungen. Kurz danach wurde sie plötzlich ganz müde und legte sich einfach vor das Haus hin. Ich bekam Angst - das war wirklich nicht gut. Ich konnte sie aber nicht wegzerren, denn ich hörte die Menschen zurückkommen. Mir blieb nichts übrig als wegzulaufen und meine arme Tochter alleine zurück zu lassen. Aber gegen drei Menschen war ich machtlos. Als ich sah, dass sie meine Tochter mitnahmen, mußte ich bitterlich weinen. Das Einzige, was mich tröstete, war zu sehen, wie liebevoll diese Menschen mit ihr umgingen. Vielleicht waren sie doch nicht böse. Unsere drei Freunde sahen die Menschen trotzdem als Bedrohung an und wollten einfach weiter weglaufen, irgendwo einen sicheren Platz suchen. Ich wollte aber nicht mit. Ich hoffte noch, dass diese Menschen vielleicht doch meine Tochter zurückbringen würden.

Ein paar Tage danach fühlte ich mich einfach schwach und krank. Ich hatte keine Energie mehr für mich, geschweige denn für das Baby in meinem Bauch. Ich begann aufzugeben, wollte mich hinlegen und nicht mehr aufstehen. In dem Moment kamen diese Menschen wieder, aber nur die zwei Grauen. Und die kleine Hündin war wieder dabei. Sie rief mir freundlich zu und sagte, dass sie Paulinchen sei und dass es gute Menschen seien. Sie hätte meine Tochter gerettet und würden vielen Hunden helfen. Außerdem seien sie sehr liebe Menschen. Sie würden in einem großen Haus mit schönem Garten und viel Platz zum spielen leben. Das wichtigste sei jedoch, dass es  immer etwas Gutes zu essen gäbe. Mir war inzwischen eigentlich alles egal und als sie mir auch so ein Wurstkügelchen zuwarfen, aß ich es. Ich wurde so müde und schlief fast ein. Ich fühlte nur, wie sanfte Hände mich streichelten und mich hoch hoben. Die graue Frau duftete gut. Sie flüsterte in mein Ohr: "Jetzt brauchst Du keine Angst mehr haben. Willkommen auf der Finca Lucendum, liebe kleine Pia."

In Spanien - Teil II: Das Gute

Meine ersten drei Tage auf der Finca Lucendum habe ich nur wie durch einen Nebel wahrgenommen. Ich war so erschöpft, dass ich nur schlief oder irgendwie vor mich hin döste. Ich hatte zwar mitbekommen, dass meine Tochter Samantha mich mit strahlenden Augen begrüßte und mir etwas erzählte, aber ich war zu müde und mußte einfach schlafen. Paulinchen, die kleine Hündin, wollte mir alles zeigen, aber auch das mußte warten. Jedoch spürte ich , dass ich in Sicherheit war. Keiner bedrohte mich, keiner schlug mich,
Foto: Finca Lucendum
keiner schrie mich an. Zwar lebten auf der Finca wohl ziemlich viele Hunde, trotzdem hatte ich meine Ruhe.

Plötzlich fiel mir wieder ein, was meine Tochter mir erzählt hatte. Sie hatte etwas von einem Freund erzählt! Ja, bin ich noch bei Trost? Ich habe drei Tage verschlafen, obwohl meine Tochter einen Freund kennengelernt hat. Vielleicht sollte ich mich besser etwas beruhigen, bevor ich Samantha aufsuchte. Schließlich war sie ja schon fast erwachsen, ich sollte mich deshalb nicht so aufregen. Aber ihren Freund wollte ich auf jeden Fall erst ein Mal begutachten. Paulinchen hatte anscheinend gesehen, dass ich wieder munterer war. Jetzt wollte sie mir endlich alles zeigen. Das paßte mir sehr gut, es war ja eine ausgezeichnete Ablenkung, bevor ich meine Tochter wiedertraf.

Foto: Finca Lucendum
Zuerst gingen wir zu den Chefinnen. Alle auf der Finca gehorchten Antonia und Bonnie Blue. Antonia war etwas kurz angebunden und begrüßte mich nur knapp. Bonnie Blue nickte mir wortlos zu. Das war eigentlich gut, weil mir doch etwas Bange war. Sie strahlten Autorität aus und alle wußten sicher instinktiv, dass man sie besser respektierte.Trotzdem waren sie doch sehr freundlich. Paulinchen erzählte mir, dass Antonias Vater ein echter Wolf gewesen ist und dass sie allen beigebracht hat, wie man wölfisch singen kann. Manchmal sangen alle zusammen und die Menschen bewunderten es.
Chico und Antonia, Foto: Finca Lucendum

Ach ja, die Menschen. Ich hatte sie schon ein bisschen verdrängt. Trotz meines Dämmerzustandes hatte ich bemerkt, dass sie mir jeden Tag etwas zu essen und zu trinken gebracht hatten. Ich blickte mich um und sah die Frau draussen mit einer komischen Karre hantieren. Sie brachte etwas zu Tieren, die überaus merkwürdig aussahen. Paulinchen klärte mich auf. Die Frau hieß Gisi und sie brachte gerade Heu zu den Pferden! Von Pferden hatte ich zwar schon mal gehört, aber gesehen hatte ich bisher keine. Paulinchen behauptete, auf der Finca lebten auch noch Schweine, Ziegen und Gänse. Nun, ob ich das glauben sollte, wußte ich nicht so recht.
Foto: Finca Lucendum

Es lebten sehr viele andere Hunde auf der Finca. Ich zählte zehn, aber es waren viel mehr. Sicher drei oder vier mal mehr. Ich fühlte mich doch etwas unsicher. Als die anderen Hunde mich entdeckten, hielt Paulinchen sie davon ab, dass sich alle gleichzeitig auf mich stürzten. Ich konnte mir die vielen Namen gar nicht merken. Es wunderte mich aber sehr, dass alle so freundlich zu mir waren.

Foto: Finca Lucendum
Als ich von hinten Schritte hörte, erschrak ich. Der zweite Mensch kam auf uns zu. Und was tat er? Er kniete sich hin und ließ mich an seine Hand schnüffeln. Ein Mensch kniete sich vor mich hin, das konnte nicht wahr sein! Ich schnupperte vorsichtig an der Hand und der Mann zauberte für Paulinchen und für mich ein Stückchen Käse hervor. Ganz sanft streichelte der Mann meine Schulter. Sein Name ist Ralf, flüsterte Paulinchen. Schon an dem Abend schlief ich auf seinem Schoß.
Pia auf Ralfs Schoß, Foto: FL
Diese zwei Menschen, Gisi und Ralf, sind für mich die größten Helden überhaupt geworden. Ich erfuhr, dass
Karolina, Foto: Finca Lucendum
sie schon viele Jahre lang Hunde wie mich retten und bei sich aufnehmen. Wenn die Hunde zu alt oder zu krank sind, können sie sogar für immer auf der Finca bleiben. Wenn sie aber noch in der gesundheitlichen Verfassung sind, dürfen sie zu eigenen Familien ziehen, die Gisi und Ralf für sie aussuchen. Einige Hunde sind sogar bis nach Deutschland gezogen. Ich konnte damals nichts mit Deutschland anfangen. Vielleicht war es ein Dorf irgendwo weit weg oder sogar eine Insel. Es hatte mich in dem Moment auch nicht so interessiert. Ich lebte gern auf der Finca und liebte Gisi und Ralf einfach dafür, dass sie so liebevoll und gut zu uns waren.

Sie waren sogar zu allen Nervensägen, wie zum Beispiel Spike, sehr lieb. Es war wieder Paulinchen, die mich über ihn aufklärte. Spike ist ein richtig kleiner Kerl mit großen Augen und noch größerer Klappe. Er hält sich für den Chef der Finca. Einige lassen ihn in dem
Spike, hinten Bonnie Blue, Foto: FL
Glauben und tun so, als ob sie auf ihn hören würden. Sogar Gisi und Ralf tun manchmal so. Aber wenn er gute Laune hat, ist er echt sympatisch und manchmal sogar witzig.

Ich lernte auf der Finca viele liebe Freunde kennen, hörte aber auch so viele Leidensgeschichten. Es wundert mich, wie meine Freunde so viel Leid ertragen konnten, ohne, dass ihre kleinen Seelchen zerbrachen. Wie die schon etwas älteren Zwillinge Marte und Jupiter, die kleine Heidi, die
Heidi
taube Karolina oder der mutige Chico, Paulinchens Sohn. Und so viele andere Seelchen.
Zur Finca kam auch ein Welpe, der mich sehr beeindruckte. Sein Name war wohl Bastian, aber alle nannten ihn nur Winnetou, weil er wirklich wie ein kleiner Indianer aussah. Er wurde in einen Müllcontainer geworfen, weil niemand ihn auf dem Markt gekauft hatte. Seine Einstellung war aber so unheimlich positiv, dass man es kaum glauben konnte. Als Winnetou auf der Finca den schwerkranken Hund Gador begegnete, war er nicht
Gador und Winnetou, Foto: FL
mehr zu halten. Er kümmerte sich rührend um den Kranken, war jeden Tag bei ihm, erheiterte ihn mit seinen Geschichten und wenn Gador zu müde war, kuschelte er einfach mit ihm. Es war wirklich erstaunlich, denn durch Winnetous Fürsorge waren die letzten Wochen in Gadors Leben sicher noch sehr viel glücklicher.

Paulinchen, Foto: Finca Lucendum
Kürzlich erreichte mich die sehr traurige Nachricht, dass meine liebste Freundin Paulinchen in hohem Alter über die Regenbogenbrücke gegangen ist. Sie ist eine herzensgute Seele gewesen und hat allen das Gefühl gegeben, sie seien auf der Finca.willkommen. Obwohl ich über ihren Tot sehr traurig bin, weiß ich sicher, dass sie vom Sirius auf uns herunter schaut und mit einem Lächeln auf den Lippen das fröhliche Treiben auf der Finca Lucendum beobachtet.
Unai und Samantha, Foto: FL

Meine Tochter und ihr Freund

Als meine Samantha mir ihren Freund Unai vorstellte, da wußte ich sofort, dass ich mir keine Sorgen mehr um sie machen muß. Jeder, der die unvorstellbar große Liebe zwischen den beiden nicht sofort erkennt, muß blind sein. Samantha himmelt ihren Unai an und der große, ruhige Unai ist rührend zärtlich ihr gegenüber. Beide waren vom ersten Augenblick an unzertrennlich.

Foto: Finca Lucendum (FL)
Gisi und Ralf haben den beiden versprochen, dass sie für immer auf der Finca bleiben dürfen. Samantha ist immer noch sehr scheu und läßt sich kaum von Menschen anfassen. Gisi und Ralf haben aber die Verbindung zwischen Samantha und Unai sofort gespürt, was ich früher eigentlich bei Menschen für unmöglich gehalten habe. Ich bin sehr glücklich, dass meine liebe kleine Tochter so ein wunderbares Leben hat.


Die Angst um meine Babies

Es war mein sechster Winter und der erste, in dem ich nicht frieren mußte. Es regnete, wie immer, aber wir durften im Haus bleiben. Wir bekamen immer genug zu essen und durften es uns aussuchen, wo wir schlafen mochten. Alles wäre gut gewesen, wenn ich mir nicht so große Sorgen um meine ungeborenen Babies hätte machen müssen. Als ich schwanger wurde, waren wir ja alleine in dem verfallenen Haus und es dauerte danach noch Wochen, bis Gisi und Ralf uns fanden. Ich wußte damals, dass ich nicht in der körperlichen Verfassung für eine Schwangerschaft war. Ich ahnte, dass die Geburt nicht einfach werden würde. Aber
Samantha, Foto: FL
vielleicht würde ich dieses Mal meine Babies wenigstens nicht verstecken müssen. Denn früher hat der alte Mann mir alle meine Kinder weggenommen, außer Samantha, die ich sehr lange verstecken konnte.

Kurz vor Weihnachten war es dann so weit. Mein kleiner Sohn war relativ problemlos zur Welt gekommen und er schien auch gesund zu sein. Nach stundenlangen Wehen gebar ich meine süße kleine Tochter, der ich gerade noch sagen konnte, wie sehr ich sie liebe, bevor sie in meinen Armen verstarb. Mit Hilfe von Gisi und Ralf habe ich sie beerdigt. Nun ist sie ein kleines Engelchen und flitzt sicher fröhlich hin und her.

Mein kleiner Sohn wurde Muffin getauft. Er ist ein lieber Kerl, nur klein blieb er nicht lange. Er geriet ganz nach seinem Vater und ist ein sehr großer und kräftiger Junge. Er ist eine Frohnatur und bei allen beliebt.
Muffin und Pia, Foto: FL
Deswegen hat es mich auch nicht überrascht, dass er bereits nach einigen Monaten eine eigene Familie gefunden hat. Ich freue mich so sehr für ihn und bin sicher, dass er es sehr gut auch in Deutschland hat. Wie gesagt, damals wußte ich ja nicht, was Deutschland war, aber es hörte sich sehr lustig an. 

Nachdem meine geliebten Kinder so gut versorgt waren, hatte ich Zeit, über mich nachzudenken. Wie gesagt, es war alles perfekt auf der Finca - die Menschen, die Freunde, die Sicherheit, einfach alles. Aber ich fing allmählich doch an, mich etwas unwohl zu fühlen. Sehr lange wußte ich nicht, woran es lag. Es lebten ja viele Hunde auf der Finca und sie spielten wirklich gerne miteinander. Deshalb war es oft ziemlich stürmisch und laut. Ich bin aber eher eine Einzelgängerin und hatte keine Lust zu diesen Gruppenspielen. Außerdem waren ein paar Hunde auf der Finca eingetroffen, denen es sehr viel schlechter ging als mir. Ich muß zugeben, dass ich schon sehr eifersüchtig auf meine Menschen war und meinen Platz - zum Beispiel auf dem Schoß - knurrend verteidigte. Das hätte ich eigentlich nicht gesollt, aber ich wünschte mir Gisi und Ralf eigentlich für
mich alleine. Ich habe ja auch verstanden, dass dies nicht ging, und deshalb fing ich an, mich zurückzuziehen. Als der Sommer kam, wußte ich, dass ich trotz allem einfach einsam war.
Pia


Gisi und Ralf sind die einfühlsamsten Menschen, denen ich begegnet bin. Eines Tages nahmen sie mich in den Arm und fragten direkt, wie ich es denn fände, wenn ich eine eigene Familie bekäme. Ich wußte nicht richtig zu antworten, denn dafür müßte ich ja Finca verlassen. Vielleicht waren dort wieder böse Menschen, die mich schlugen und quälten. Diese gab es ja leider überall. Ich wußte nicht, ob ich dann doch lieber weiter einsam wäre.



In Spanien - Teil III: Das Unbekannte

Es sei einzig und alleine meine Entscheidung, ob ich mit jemandem mitgehen wollte oder nicht. Es sei völlig in Ordnung, wenn ich zeigen würde, dass ein Mensch mir nicht gefällt. In diesem Fall dürfte ich ohne Probleme weiter auf der Finca Lucendum bleiben. Das hatten meine Mama Gisi und mein Papa Ralf mir in den letzten
Tagen sehr oft gesagt, weil sich wohl irgendeine Familie gemeldet hatte. Eine Frau sollte aus Deutschland 
Foto: Finca Lucendum
kommen und mich zu ihrer Familie holen. Aber es war ja meine Entscheidung und ich war mir noch gar nicht sicher, ob ich überhaupt die Geborgenheit der Finca verlassen wollte. Ach, und dann war da wieder dieses Deutschland, vielleicht würde mir irgendjemand irgendwann erzählen, was es war.

Einige Tage später ist Gisi dann am Nachmittag weggefahren, um diese Frau abzuholen. Deutschland schien dann ja doch nicht so weit weg zu sein, wenn man mal so einfach mit dem Auto hinfahren konnte. Eigentlich war ich nicht aufgeregt, sondern nur sehr skeptisch. Es gab für mich auf der Welt nur zwei Menschen denen ich vertraute, Gisi und Ralf. Ich glaubte nicht, dass jemand mich davon überzeugen konnte, sie und die Finca zu verlassen.


Als wir das Auto zurückkommen hörten, liefen wir alle wie üblich zum Tor, um Gisi zu begrüßen. Etwas neugierig war ich schon und wollte als erste die Frau aus Deutschland begutachten. Da kamen sie schon durch das Tor und mein erster Eindruck war, dass es garantiert mit dieser Frau nie etwas werden würde. 

Sie war erstens so klein, dass ich das Gefühl bekam, sie beschützen zu müssen. Zweitens wirkte sie ganz merkwürdig steif und angespannt. Was sie wohl hatte? Ich schnüffelte die Luft. Hatte sie eventuell Bange vor so vielen Hunden? Das konnte dann noch heiter werden. Sie versuchte uns alle - dreißig oder vierzig Hunde - irgendwie zu begrüßen und lief weiter hinter Gisi her in Richtung Haus. Die Frau hatte mich wohl bereits in der Menge entdeckt, aber ich blieb in sicherer Entfernung zu ihr.

Wir folgten Gisi in die Küche. Wir hatten die Hoffnung, dass sie gleich etwas kochen würde. Sie stellte sich immer so ungeschickt an, dass ihr oft ziemlich viel leckeres Essen herunter fiel. Aber diesmal kam auch die
Peter, Paul und Rona. Foto: Finca Lucendum
fremde Frau mit in die Küche. Sie schielte zu mir rüber und machte Anstalten, näher kommen zu wollen. Das ging aber mal gar nicht, ich knurrte sie an. Sie wich zurück und wirkte etwas überrascht und auch irgendwie traurig. Ich schaute Gisi fragend an, ob das mit dieser Frau ihr ernst sei. Gisi streichelte mir aber nur kurz über den Kopf und meinte, dass ich der Frau erst Mal ein bisschen Zeit geben sollte. Dabei hatte ich mich eigentlich schon entschieden und wollte mich von dieser komischen Frau einfach fern halten. Als ich dann ins Wohnzimmer ging, folgte die Frau mir. Mußte ich noch deutlicher werden? Ich knurrte sie erneut kurz an und versteckte mich unter dem Sofatisch. Die Frau setzte sich einfach auf einen Sessel und schien zu warten, sicherlich nur auf das Essen. Einige von meinen Freunden gingen zu ihr und sie wurden freundlich gestreichelt. Ja, das war wirklich eine gute Idee, sollte sie doch einen von ihnen mitnehmen und mir meine Ruhe lassen. Über diese Gedanken hinweg schlief ich vor Müdigkeit ein.

Als ich wieder aufwachte, saßen die Menschen schon beim Abendbrot. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass es schon so spät war, und mußte mich sehr beeilen, damit nicht meine Freunde alles abbekamen. In dieser Hektik merkte ich gar nicht, dass ich auch ein Stück Käse von der fremden Frau genommen hatte. Es schmeckte aber genauso, wie der Käse von Gisi und Ralf. Die Fremde wirkte nicht mehr so angespannt, sondern schien die Aufmerksamkeit von so vielen Hunden allmählich zu geniessen. Ich saß mittig unter dem
Tisch, denn das war der beste Platz, um alle Hände erreichen zu können. Spike turnte wieder auf dem Tisch herum und heulte pathetisch, wie hungrig er war. Bonnie Blue und Antonia lagen würdevoll neben dem Tisch. Der kleine Winnetou versuchte an Ralfs Bein hochzuklettern. Die liebe Paulinchen saß neben Gisi, und die anderen drängelten sich an dem Tisch herum. 

Eigentlich wollte ich die fremde Frau weiter ignorieren, aber der Käse schmeckte zu gut. Schnell bemerkte ich außerdem, dass ich von ihr immer zwei Stücke gleichzeitig bekam, bevor sie auch den anderen etwas gab. Nach einer Weile erlaubte ich ihr sogar, mich kurz zu streicheln. Es gehört ja zu einer guten Kinderstube, dass man sich für solche Leckerbissen auch irgendwie dankbar zeigt. Übertreiben brauchte man es dann aber auch wieder nicht und so ging ich bald in den Garten. Dabei bemerkte ich, wie die Frau mir hinterher schaute. Na ja, schauen tat ja nicht weh.

Hinter dem Zaun gelegen gab es auf der Finca auch ein kleines Gästehaus. Dort sollte die fremde Frau übernachten. Als es schon ziemlich spät und dunkel war, kam meine Mama Gisi zu mir und nahm mich auf den Arm. Sie flüsterte mir ins Ohr, dass ich es einfach für eine Nacht ausprobieren sollte und falls es mir nicht gefällt, würde die Frau wieder nach Hause fahren. Bevor ich Gisi fragen konnte, was ich denn ausprobieren sollte, drückte sie mich schon der Frau in den Arm und wünschte uns eine gute Nacht. Oh nein, die Frau nahm mich mit in das Gästehaus. Gut, eine Nacht würde ich es wohl aushalten und Morgen ginge die Frau dann sicher wieder weg.

Vorher bin ich noch nie in dem Gästehaus gewesen. Dort sah es zwar sehr gemütlich aus, aber ich wollte ja nur die Nacht überstehen. Die Frau setzte mich auf den Fußboden und kramte irgendetwas aus ihrer Tasche hervor. Dann setzte sie sich etwas weiter weg auch auf den Boden und schien mich gar nicht weiter zu beachten. Ich schielte unauffällig rüber und sah, dass sie etwas in der Hand hatte. Mmh, es roch wirklich gut. Sie warf etwas in meine Richtung und ich kam ein paar Schritte näher. Leckerlies! So was von gut! Mit Leckerlies schienen sie sich in diesem Deutschland auf jedem Fall auszukennen. Es schmeckte so gut, dass ich nach
Die erste Nacht
einer Weile sogar ein paar aus ihrer Hand nahm. Ja, und dann durfte sie mich auch noch mal streicheln. Es war gar nicht so übel. Es war sogar richtig angenehm. In dem Gästehaus war es so ruhig, dass ich ganz schnell müde wurde. Die Frau hatte zwar für mich eine Decke auf den Boden gelegt, sie meinte aber, dass ich auch bei ihr im Bett schlafen könnte, wenn ich wollte. Ich überlegte kurz und entschied mich für das Bett. Was könnte eine Nacht in einem weichen Bett schon schaden?

In der Nacht kamen die Alpträume wieder. Ich mußte wohl geweint oder gejault haben, weil die Frau mich immer beruhigend streichelte, wenn ich wieder aufwachte. Dadurch konnte ich sehr schnell wieder einschlafen und so verging die ganze Nacht. So kam es, dass ich mir nicht helfen konnte, aber als die Sonne wieder aufstieg, hatte ich diese fremde Frau wider Willen ins Herz geschlossen. Sie schien mich doch beschützen zu können und an liebevollen Streicheleinheiten würde es mir sicher auch nicht fehlen – und wohl auch nicht an Leckerlies. Sollte ich doch mit ihr gehen?

An diesem Morgen gingen wir zuerst gemeinsam frühstücken. Nach dem Frühstück lächelten mich Gisi und Ralf an und ich durfte noch eine Weile auf dem Schoß der Frau sitzen. Dann passierte das Unfassbare, die Menschen standen auf, räumten wie immer den Tisch ab, die Frau streichelte mich noch ein Mal kurz und verließ mit Gisi die Finca. Beide stiegen ins Auto und fuhren fort. Ohne mich. Die Frau fuhr ohne mich wieder fort. Traurig guckte ich ihr nur hinterher und fühlte, wie sich
Foto: Finca Lucendum
meine Augen mit Tränen füllten. Gestern hätte ich mich noch geweigert, mit der Frau zu gehen. Aber das war doch gestern! Heute hätten die Menschen doch bemerken müssen, dass alles anders war. Haben sie denn nicht verstanden, dass ich bereits mein Herz an die Frau verschenkt hatte?

Es traf mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel, es mußte wohl ganz anders sein. Es war nicht mehr meine Entscheidung – die Frau wollte mich nicht. So versteckte ich mich unter einem Olivenbaum, damit keiner sah, wie traurig ich war. Sie hat sich nicht für mich entschieden. Vielleicht hätte ich die Frau gestern nicht anknurren sollen. Oder waren meine Alpträume in der Nacht für sie zu anstrengend gewesen? War ich ihr zu hässlich oder mit meinen sechs Wintern ihr schon zu alt? Ich weinte leise vor mich hin. Dabei hatte ich schon angefangen mir auszumalen, dass sie mein Frau-Mensch wird, vielleicht sogar mein Mama-Mensch. Nach allen Enttäuschungen in meinem Leben hätte ich es besser wissen sollen. Ich trocknete meine Tränen und versuchte, positiv zu denken. Auf der Finca zu bleiben war ja auch alles andere als schlecht. Aber der Frau-Mensch ging mir nicht so einfach aus dem Kopf. Und dann kamen die Tränen wieder. Deswegen wollte ich Gisi diesmal auch nicht begrüßen, als ich sie zurückkommen hörte. Ich blieb einfach unter dem Baum sitzen.

Als ich eine Stimme nach mir rufen hörte, sprang ich jedoch schneller als jemals zuvor in meinem Leben auf. Mein Frau-Mensch war zurückgekommen und sie suchte nach mir! Ich rannte zu ihr und sprang ganz weit an ihr hoch, fast bis auf ihren Schoß. Das war zwar keine so große Leistung, weil die Frau ja so klein war, aber
ich freute mich einfach so sehr. Fast mußte ich wieder weinen, diesmal vor Glück. Gisi und die Frau waren nur Hundefutter kaufen gewesen. Sofort durfte ich auf den Arm und dort blieb ich dann fast den ganzen restlichenTag. 
Mein Mensch erzählte mir über ihr Leben in Deutschland und ich erzählte ihr über mein Leben. Es war ein wunderbarer Tag. Ich erfuhr endlich, dass Deutschland ein Land ist, das weiter nördlich liegt und viel kälter als Spanien ist. Wir würden dahin fliegen müssen. Bevor ich bemerken konnte, dass ich doch gar nicht fliegen kann, erzählte sie mir, dass wir mit einem Flugzeug reisen würden. Das konnte ich mir nicht so recht vorstellen, aber ich hätte alles getan, nur um mitgehen zu dürfen. Sie erzählte auch von ihrer Familie – oder eigentlich ja jetzt von unserer. Ich bekäme noch einen Papa-Menschen, der mich ebenfalls sehr sehr lieb haben würde, einen Schwester-Menschen, der keine Tiere quält, obwohl es sich um eine Jugendliche handelt und sogar einen Oma-Menschen, der für mich sicher immer ein paar Extra-Leckerlies übrig hat. In meiner neuen Familie gibt es keine anderen Hunde, was mich wirklich sehr beruhigte hat. Aber drei Kaninchen und zwei Katzen leben noch im Haushalt, was mich dann doch wieder etwas beunruhigte. Mit Katzen kann ich nicht so viel anfangen, aber so schlimm konnte es auch wieder nicht werden. Ich fühlte schon in diesem Moment, dass ich sicher nie mehr einsam sein würde und nie mehr Angst haben müßte.
Pia vor der Rettung 2010, Foto: FL

Gisi und Ralf mußten mich gar nicht mehr fragen, ob ich mich entschieden hätte. Es war für sie ja offensichtlich. Ich war ihnen für alles so sehr dankbar, aber meinem eigenen Frau-Mensch mußte ich einfach überall hin folgen, sogar bis in dieses Deutschland. Es ist mir sehr schwer gefallen, mich von meinen lieben Eltern Gisi und Ralf, meiner lieben kleinen Tochter Samantha und von allen meinen Freunden zu verabschieden, die sich alle sehr für mich freuten. Am nächsten Morgen fuhren wir dann gemeinsam fort, mein Mensch und ich.
Pia 2013 in Deutschland

















Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen